Samstagmittag, 12 Uhr im Centre Sefarad in Brüssel: Kiddusch-Time! Mussaf ist vorbei, der Magen knurrt und der interessante Teil des Tages kann beginnen – hier in der kultigsten aller Brüsseler Synagogen, die (aus Budgetgründen) ganz ohne Rabbiner auskommt sowie ohne Stühle, Tischtücher, Teller und sonstigen Schnickschnack. Dafür, dass es trotzdem jede Wo- che interessantes Finger-Food und Dips gibt, sorgen diverse Sponsoren – und Solomon »Soli« Bensimon, das Faktotum des Centre: Er ist Vorbeter, Gabbe und Servierfräulein in einem und exzelllent im Auftreiben von immer neuen Spendern.
Doch heute erwartet uns auf dem Kidduschtisch eine herbe Enttäuschung: nur Bamba-Erdnussflips und abgestandene Cola! Soli zuckt entschuldigend die Achseln: Ferienzeit. Die Sponsoren sind im Urlaub.
Obwohl uns der Magen bis zu den Knien hängt, sind wir guten Mutes. Schließlich wartet um die Ecke in der aschkenasischen Synagoge schon das nächste kuli- narische Highlight: Familie Geldzähler (mein Mann kennt sie um drei Ecken) schmeißt eine Riesen-Barmizwa, mit Bensoussan, meinem Lieblingscaterer. Hühnerbeinchen! Fischsticks! Sahnetörtchen satt! Nichts wie hin!
Als wir ankommen, erwarten uns, ums Buffet gruppiert, bereits die üblichen Kiddusch-Connaisseure: Moischi Selznick, seines Zeichens Faltenrockfabrikant, hat vor der Platte mit Hühnerbeinchen Stellung bezogen und lauert auf heiratswillige Singles. In der Schlange vor der Tschulent-Wärmplatte erblicke ich meine Freundin Sandra »nach dem nächsten Baby ist Schluss« Goldblum. Ihre sechs oder sieben Gören räumen gerade das Kuchenbuffet ab. Das Ehepaar Süssholz hat schon sein Tupperware-Set ausgepackt, um einige Kostproben mit nach Hause zu nehmen.
Ich kämpfe mich zum Buffet durch und bekomme nebenbei die neuesten Plotkes serviert: Wer hat einen Verlobungsring so groß wie ein Taubenei abgestaubt? Wen umschwirren die Frauen wie die Fliegen (dank der letzten Nasen-OP)? Warum hat Plutschnik sich ins Ausland abgesetzt?
Ich greife schnell einige vielversprechend aussehende Törtchen von der Kuchenplatte, scheuche meinen Mann vom Dafina-Buffet weg und schon geht’s weiter.
Unser nächster Stopp ist der »Independent-Kiddusch« im Wohnzimmer des glücklosen Rabbi Grossman, dem einzigen Brüsseler Rabbiner ohne Gemeinde. Rabbi G., einsneunzig mit blondem Rauschebart, ist bekannt und berüchtigt für seine Extrem-Predigten, die nie unter zwei Stunden dauern. Keiner weiß genau, wer den Rabbi nach Brüssel geholt hat und was seine Mission hier ist, aber er hat eine stattliche Anzahl Groupies, die sich jede Woche bei ihm versammeln, außerdem eine entzückende Frau und sieben semmelblonde Söhne, die Smirot im Chor singen wie die Engelein. Ich liebe es, dort eingeladen zu sein, und auch wenn ich nicht eingeladen bin, gehe ich gerne hin, denn die Cuisine dort ist fantastisch.
Als wir ankommen, hat sich Rabbi G. gerade erst warmgeredet, die Predigt dauert schätzungsweise noch gute 45 Minuten. Erste Kidduschgäste sacken schlafend in sich zusammen, andere starren glasigen Blickes vor sich hin, der Kidduschtisch sieht bereits ziemlich abgegrast aus.
Frustriert machen wir Schluss für heute, ziehen ab nach Hause – und beschließen, nächste Woche alles andersrum zu machen: Schacharit bei den Sefarden, dann schnell weg, bevor die Bamba-Flips mit lauwarmer Cola aufgetragen werden, danach Mussaf bei den Aschkenasen, um die Buffeteröffnung nicht zu versäumen (Verlobungsfeier der Familie Borgenicht!), bei Rabbi G. tauchen wir erst nach dem Sermon auf, dann ein kurzes Verdauungsschläfchen, gefolgt vom Nachmittagstee (und Mincha) im Chabad-Center.
Die Woche danach kommt G’tt sei Dank meine Mutter und füllt meinen Kühlschrank wieder auf (und die Tiefkühltruhe), sodass ich mich für die nächsten Wochen von einem ausgehungerten Kiddusch-Touristen in eine vorbildliche, warme Mahlzeiten kredenzende Balabusta verwandeln werde. Margalit Berger
kiddusch