von Sabine Brandes
Auch die eingefleischte Partygemeinde von Tel Aviv braucht mal eine Pause. In den meisten Kneipen lehnen am Sonntag nur ein paar Gestalten an der Bar, hauptsächlich Einsame oder junge Touristen, auf die zu Hause niemand wartet. Nicht so im »Bukowski« an der Frischman-Straße, Ecke Dizengoff. Die neuesten Hits dröhnen aus den Boxen, kein einziger Sitzplatz ist zu haben, der Laden brummt. Eigentümer Oren Schemer freut sich über den Besucherstrom. »Hier ist es immer voll.« Wie lange noch, wisse er aber nicht. »Deshalb«, sagt er und zeigt auf ein Klebeschild an der Wand: »No smoking« prangt in roten Lettern auf weißem Grund, direkt neben Wodka, Whiskey und Gin.
Seit drei Wochen herrscht in sämtlichen öffentlichen Gebäuden Israels Rauchver-
bot – Restaurants, Kneipen und Bars eingeschlossen. 2002 verschwanden die Zigaretten aus Krankenhäusern, Stadtverwaltungen und Einkaufszentren, jetzt soll es umfassend durchgesetzt werden. Im »Bukowski« sind von einen Tag auf den nächsten alle Aschenbecher verschwunden. »Gesetz ist Gesetz«, resümiert Schemer und zuckt die Schultern. Zwar aschen die Gäste jetzt auf Bierdeckel, doch nach wie vor ziehen sie genüsslich an ihren Zigaretten und hüllen den Raum in blauen Rauch. Das Gesetz ist verabschiedet, tatsächlich umgesetzt wird es bis heute kaum.
Die Stadtverwaltungen geben an, dafür schlicht nicht genügend Personal zu haben. In Jerusalem, wo die Einhaltung des Schabbats eine wesentlich größere Rolle spielt, rechnet ohnehin kaum jemand damit, dass Angestellte der Stadt am Freitagabend in Kneipen patrouillieren. Also hat auch niemand Sorge, erwischt zu werden. »Der Tag wird kommen, an dem das Verbot Realität wird«, ist der Barbesitzer sicher. »Und dann werden wir unsere Gäste wohl oder übel darauf hinweisen müssen, drinnen nicht zu rauchen.« Auf die Frage, ob er bei der Weigerung, eine Zigarette auszumachen, die Polizei ruft, schüttelt Schemer den Kopf und lacht. »Kaum vorzustellen, dass sie mit Blaulicht anrücken, um eine Kippe auszutreten.«
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums rauchten 2006 22 Prozent aller Israelis über 18 Jahre, 2,2 Prozent weniger als im Jahr zuvor, Tendenz fallend. Gesundheitsexperten jedoch halten die Zahl von 30 Prozent für realistischer. Vor etwa vierzig Jahren waren es noch 43 Prozent. Besonders häufig greifen junge Männer und Singlefrauen zur Zigarette, arabische und neueingewanderte Jugendliche seien besonders gefährdet, so die Studie. Um die 10.000 Israelis sterben jährlich durch die Folgen des Rauchens. Zum Vergleich gibt die Deutsche Krebshilfe an, dass ein Viertel aller Deutschen rauchen.
»Ich bin überzeugter Nichtraucher, doch wenn ich in eine Bar gehe, nehme ich das Passivrauchen in Kauf. Es ist ein Ort, an dem Zigaretten dazugehören, genau wie Bier oder Whiskey«, macht Tal Schlesinger klar, während er an der Theke des »Bukowski« sitzt. »Wenn ich das nicht aushalten kann, bleibe ich besser weg.« Schon überlegen sich Kneipiers in Tel Aviv Maßnahmen, um das Rauchverbot zu umgehen. Einige planen, aus ihren Läden private Clubs zu machen. Zwar würde das Laufkundschaft fernhalten, die Stammgäs-te aber könnten weiter ihrem Laster frönen. Andere, besonders die florierenden Kneipen, wollen ihren Kunden die Zigaretten im Lokal nicht verbieten und notfalls sogar die Strafen dafür zahlen. Schemer selbst hat noch keine Ahnung, was er tun wird, wenn Beamte vor der Tür stehen. Große Sorge habe er, dass das Gesetz die Ausgehszene des Landes langfristig schädige, denn es zerstöre die besondere Atmosphäre in den Bars. »Vor allem habe ich Angst um meinen Laden. Ich weiß nicht, ob dann überhaupt noch Leute kommen.«
Nach drei Wochen des Ignorierens beschloss die Stadt Tel Aviv nun, das Gesetz anzuwenden. Die Hotline 106 der Verwaltung soll Hinweise auf »illegales Rauchen« vorrangig behandlen, außerdem sollen Angestellte Kontrollgänge durch die Bar- und Kneipenszene unternehmen. Dabei sollen sie Knöllchen von fast 200 Euro für Raucher, die das Verbot missachten, und von bis zu 1.000 Euro für Barbesitzer verteilen, die ihre Gäste nicht vor die Tür setzen oder Aschenbecher aufstellen.
Auch in Israel hat der Winter Einzug gehalten. Heftige Regenschwaden setzen mit gefürchteter Regelmäßigkeit das halbe Land unter Wasser. Ungemütlich ist’s –und trotzdem müssen die Raucher vor die Tür. Miriam Roth findet es gut. »Wunderbar, wenn es überall nur noch frische Luft gibt und wir nicht mehr mit stinkender Kleidung aus einem Restaurant kommen.« Als Einschränkung der Freiheit sieht es die Lehrerin nicht. »Jeder kann in seinen eigenen vier Wänden tun, was er will, aber nicht auf Kosten der Gesundheit anderer.«
Carlo Strenger, Raucher und Psychologieprofessor an der Tel Aviv Universität sieht das anders. Jüngst schrieb er in der Tageszeitung Haaretz: »Man mag argumentieren, dass nur Gutes aus einer Verbannung der Zigaretten aus öffentlichen Gebäuden kommt. Raucher werden weniger rauchen, Nichtraucher werden weniger leiden. Doch dies ist eine kurzsichtige Denkweise. Der Preis, den wir bezahlen, indem wir unsere Städte in Gesundheitszentren verwandeln, ist hoch. Die Überregulierung unseres Privatlebens, unserer Wünsche und Gewohnheiten führt zu grauer Uniformierung und sterilisiert die kulturelle Atmosphäre.«
Ob dafür oder dagegen. Fakt ist, dass man vor nicht allzu langer Zeit in vielen Kinos nach Herzenslust die Popcorn des Nachbarn räuchern durfte. In Supermärkten warteten die Kunden an Fleisch- oder Käsetheke mit dem Glimmstengel im Mund, keine Postfiliale im ganzen Land kam ohne Aschenbecher aus. Das Bild des rauchfreien Israel, in dem die Zigaretten-Polizei patrouilliert, will nicht recht passen. Irgendwie scheint es zu aufgeräumt, zu politisch-korrekt und aufgezwungen für ein Land, in dem es primär darum geht, dass Menschen in Bussen oder Einkaufszentren keine Bomben in ihren Taschen verstecken.
»Sicherheitsleute auf Raucherjagd zu schicken ist absurd«, meint Avigail Goren, »als ob gerade wir Israelis keine anderen Probleme hätten«. Die 26-Jährige zündet sich abends beim Ausgehen mit Freunden gern eine Zigarette an. »Es ist gesellig und macht Spaß. Bars ohne Rauch«, bringt sie es auf den Punkt, »sind so langweilig wie Pita ohne Hummus.«