»Ein nuklear bewaffneter Iran gefährdet nicht nur Israel, sondern die ganze Welt.« Diese Worte richtete Israels Außenminister Lapid an seine deutsche Amtskollegin Baerbock in ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz. Als Antwort resümierte Baerbock ihren Besuch in Yad Vashem mit dem dort zu lesenden Tucholsky-Zitat: »Ein Land ist nicht nur, was es tut. Es ist auch das, was es duldet.« Dann reduzierte sie den Nahostkonflikt auf die Zweistaatenlösung. Über den Iran verlor sie kein Wort, obwohl sie für die Neuverhandlungen in Wien mit verantwortlich ist. Anfängerfehler oder doch Dulden?
Moskau Bundespräsident Steinmeier bezog anlässlich seiner Wiederwahl ungewöhnlich deutlich Position gegen Moskau. Das ist umso bemerkenswerter, als er 2015 dasselbe Format gegenüber Teheran vermissen ließ und weiterhin vermissen lässt. Damals war er Außenminister und Architekt des gescheiterten Nukleardeals. Das Regime hat mittlerweile waffenfähiges Uran und bedroht damit eine Region, die bis an die afrikanische Atlantikküste reicht. Marokko, der Sudan, Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain unterhalten diplomatische Beziehungen mit Israel. Aus Teherans Sicht sind sie Verräter. Saudi-Arabien und der Jemen sind weitere Zielscheiben. Eine einzige schmutzige Bombe aus Teherans Werkstatt reicht aus, um die Welt in den Abgrund zu stürzen.
Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz sprechen vom »Moment der Wahrheit«, allerdings ohne erkennbare Konsequenz. Irans Präsident Raisi ist unbeeindruckt. Der Westen wird zwischen Corona und der Ukraine zerrieben und blickt im Nahen Osten schon länger nicht mehr durch. Perfektes Timing. Teherans Griff zur Nuklearwaffe ist nicht weniger gefährlich als Moskaus Außenpolitik. Eine Bedrohung wird nicht geringer, nur weil eine zweite hinzukommt. Herr Bundespräsident, Herr Bundeskanzler, Frau Außenministerin: Dulden Sie nicht länger! Ihr Moment der Wahrheit kommt sonst zu spät.
Der Autor ist Experte für Krisen- und Konfliktmanagement im Nahen Osten.