von Christian Buckard
Am Abend des 7. Juni 1967, nach der Eroberung Ostjerusalems, kam der israelische Pressfotograf David Rubinger mit Tränen der Rührung in den Augen nach Hause und zeigte seiner Frau Anni die Fotos, die er beim Einzug der ersten israelischen Soldaten in die Altstadt vor der Klagemauer geschossen hatte. Die seiner Überzeugung nach beste Aufnahme zeigte Oberrabbiner Goren, der, auf den Schultern zweier Soldaten sitzend, den Schofar blies. Doch Anni Rubinger gefiel ein anderes Bild besser: drei Zahal-Soldaten vor der Kotel. In einem Anfall patriotischen Leichtsinns gab Rubinger das Negativ der Armee. Die Regierung ließ das Foto dru-cken und verkaufte die Abzüge zum Preis von je einem Dollar; die Nachrichtenagenturen brachten es; sogar ein Zigarettenhersteller warb damit auf der ersten Seite der »Jerusalem Post«: »Richtige Männer rauchen Dubek!«
Ein Honorar für sein berühmtestes Bild hat Rubinger nie erhalten. Seine Klage auf Vergütung wies der Oberste Gerichtshof Israels mit der Begründung ab, das Foto sei »nationales Kulturerbe«. Immerhin der Ruhm blieb dem Fotografen: Das Bild der drei Soldaten ist in die Geschichte eingegangen und untrennbar mit seinem Namen verbunden. Jetzt ist es mit anderen Fotos Rubingers und seines Kollegen Paul Goldman sechs Wochen lang im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen.
Der 1924 in Wien geborene und 1939 nach Palästina entkommene Bildberichterstatter hatte seine ersten, schon damals meisterhaften Bilder noch vor dem Unabhängigkeitskrieg 1948 gemacht, an dem er als Soldat teilnahm. Danach schoss Rubinger nur noch mit der Kamera: Sinai-Feldzug 1956, Sechstagekrieg 1967, Jom-Kippur-Krieg 1973, Libanon 1982 und 2006, erste und zweite Intifada – Rubinger war immer mittendrin. Seine Momentaufnahmen menschlichen Leids spiegeln stets auch seine Empathie wider – mit verwundeten Zahal-Soldaten, israelischen Zivilis-ten im Bombenhagel, aber auch mit weinenden arabischen Kindern neben ihren zerstörten Häusern. Dabei behalten die porträtierten Menschen bei allem Leid stets ihre Würde.
Nicht weniger einfühlsam sind David Rubingers Porträts der Mächtigen. Nie hat er versucht, sie lächerlich zu machen. Aber er fing sie in Momenten ein, die eine eher unbekannte Seite zeigten: Ein fürsorglicher Menachem Begin, der seiner Ehefrau einen Schuh anzieht oder der Hobbyfotograf Yitzhak Rabin, der sein Objektiv auf Rubinger richtet. Das ist mehr als Bildberichterstattung: es ist Kunst. Der Schriftsteller Yoram Kaniuk rühmt an Rubinger, der 1997 mit dem Israel-Preis ausgezeichnet wurde, die »unverwechselbare Kameraeinstellung, durch die in seinen Fotos die Einstellungswinkel mit den Ereignissen verschmelzen. Er fängt Geschichte ein.«
Vor acht Jahren hob Rubinger einen verborgenen Schatz: 40.000 Negative des ungarischen Fotografen Paul Goldman, der das Leben in Israel zwischen 1943 und 1961 auf Film gebannt hatte und 1986 erblindet, verarmt und vergessen gestorben war. Rubinger und Goldman hatten lange Jahre gemeinsam als Bildberichterstatter für Uri Avnerys Wochenzeitung »Haolam Hazeh« gearbeitet. Goldmans Archiv wurde von dem amerikanischen Kunstsammler Spencer Partrich erworben. Vor vier Jahren wurden die Bilder in Tel Aviv erstmals gezeigt. Der 1900 in Budapest geborene Goldman, wie Rubinger ein Überlebender und Veteran des Weltkriegs, besaß das fast unheimliche Talent, seine Momentaufnahmen wie bewegte Bilder aussehen zu lassen. Ob Ben Gurion beim Handstand am Strand von Tel Aviv, berittene Palmach-Soldaten im Feld, der junge Seemann Dan Ben-Amotz im Sonnenlicht oder Moshe Sharett und Golda Meir bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung – stets hat der Betrachter den Eindruck von Bewegung.
»60 Jahre Pressefotografie in Israel« heißt die Ausstellung, die der Freundeskreis des Willy-Brandt-Hauses e.V. und die Friedrich-Ebert-Stiftung jetzt präsentieren. Der Titel ist viel zu nüchtern: Gezeigt werden hier bis zum 20. April bewegende Momente aus einem Land, das immer in Bewegung ist.
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