Unser Wochenabschnitt fasziniert mit seiner Fülle von göttlichen Geboten. Diesen wird jedoch ein warnender Hinweis vorausgeschickt. Das ist der Segen: »Dass Ihr auf die Gebote des Ewigen hört.« Und der Fluch: »Wenn ihr nicht gehorchet den Geboten des Ewigen.« Bereits die geografische Wahl der Berge Grisim und Eival, auf denen der Segen und der Fluch ausgesprochen werden, verraten die Diskrepanz zwischen dem Segen und dem Fluch. Der Berg Grisim – ein blühender Ort, der sich mit abfallenden Terrassen nach oben schwingt. Auf den Terrassen sind die Weinreben mit ihren saftigen Früchten, die darauf warten, gepflückt zu werden, um sich in einen köstlichen Wein zu verwandeln. Dagegen der Berg Eival – kahl und unwirtlich, eine Mondlandschaft, auf der das Leben zum Stillstand gekommen ist. Rav Schimschon Rafael Hirsch, einer der größten Denker des 19. Jahrhunderts, bemerkt dazu: »Beide, der Berg Grisim und Eival, entstammen der gleichen Erde, sie bekommen den gleichen Regen, Tau, dieselben Winde umwehen sie und der gleiche Blütenstaub umwölkt ihre Landschaft.« Und doch sehen wir, dass der eine unfruchtbar bleibt und der andere in ein prachtvolles Grün gekleidet ist. Daraus folgern wir, dass die Segen-und-Fluch-Erteilung nicht von äußeren Umständen beeinflusst wird, sondern primär von unserer inneren Betrach-tungsweise abhängig ist. Nicht die äußeren Umstände beeinflussen demnach geistigen Se- gen oder Stillstand, sondern wir selbst, mit unseren Handlungen.
gebote Nach dieser Einführung werden die Gebote genannt, die uns die Tora nach dem Einzug in das Land vorschreibt. Zentral ist das Erbauen des Tempels, die Hausstätte des Ewigen. Weiter findet sich das Gebot des rituellen Schlachtens und das Verbot, Blut zu genießen, sowie die Gesetze bezüglich der falschen Propheten und übrige Verbote gegen die kanaanitischen Götzenkulte. Sodann werden die unentbehrlichen »diätologischen« Gesetze aufgezählt, die mit dem folgenden Satz enden: »Koche nicht das Böcklein in der Milch seiner Mutter.« Die Speisegesetze des jüdischen Volkes, wie sie die Tora vorschreibt, sind sowohl komplex als auch zahlreich. Alleine der Satz »Koche nicht das Böcklein in der Milch seiner Mutter« wird in der Tora dreimal wiederholt, in unserem Wochenabschnitt im Vers 21. Der Talmud im Traktat Chulin ist die Quelle, der wir uns zuwenden, um die grundlegenden Prinzipien der Vermischung von Fleisch und Milch zu verstehen. Der Schulchan Aruch, die Gesetzessammlung von Maran Joseph ben Ephraim Karo Toledo (1488–1575, Safed), fasst diese im zweiten Abschnitt Yoreh Deah (Siman 87-97, 2. Abs.) zusammen. Jedem Rabbiner oder ernsthaft Interessierten, der sich mit dem Studium dieser Gesetze beschäftigt hat, ist sicher aufgefallen, wie verwirrend die eine oder andere Vorschrift zunächst erscheinen kann. Doch dem Gebot, Milch und Fleisch nicht zu vermischen, liegt ein tieferes Verständnis zugrunde. Milch steht für Leben, sie ist die perfekte Nahrung für ein Neugeborenes, sie ist ein Wunder, das der Ewige dem Menschen geschenkt hat, auch wenn es kaum als solches betrachtet wird. Auch wird Erez Israel das Land, wo Milch und Honig fließen, genannt. Im Gegensatz dazu ist das Fleisch eine entseelte Materie. Ein Stück von etwas Lebendigem und Reinem, das Leben in sich hatte und jetzt nur als Nahrungsmittel benutzt wird. Hier erteilt uns die Tora eine wichtige Lektion: Vermische nicht das Leben mit der Unreinheit.
nahrung Unsere Aufgabe ist es, unser Leben einem höheren Zweck zu widmen, ein »Licht für die Völker« zu sein. Um diese Erhabenheit zu erlangen, muss sich der Mensch bemühen, in körperlicher und seelischer Reinheit zu leben. Nur auf diese Weise ebnen wir uns den richtigen Weg, um zur höchsten Stufe der geistigen Materie zu gelangen. In Bezug auf den Anfang des Wochenabschnitts stellen wir nun fest, dass die Erteilung oder Vorenthaltung geistigen Segens auch von unserer Nahrung beeinflusst wird. Die Devise »man ist, was man isst« ist keine Erfindung von Diätologen und Ernährungswissenschaftlern. Sie ist legitim und hat in der jüdischen Tradition bereits ihre feste Wurzel.