von Anastasia Telaak
»Ich möchte das Briefgeheimnis wahren. Aber ich möchte auch etwas hinterlassen«, sagt die weibliche Erzählerstimme in Ingeborg Bachmanns Roman Malina 1971. Was die österreichische Schriftstellerin dort über die Auseinandersetzung mit der Vatergeneration, dem Nationalsozialismus und der Schoa schrieb, konnten Leser, die ihre diskrete Chiffrierungsarbeit kannten, entziffern: als ein Gespräch mit dem jüdischen Lyriker Paul Celan. In verborgenen Zitaten ihr gewidmeter Gedichte brachte Bachmann ein Jahr nach Celans Selbstmord seine Stimme zu Gehör.
An eines der Gedichte – »Köln, am Hof« (1957) – erinnert auch der Titel Herzzeit, unter dem jetzt der von 1948 bis 1961 reichende Briefwechsel zwischen den beiden Dichtern offen liegt, ergänzt um die Korrespondenz zwischen Celan und Bachmanns vorübergehendem Lebensgefährten Max Frisch sowie Bachmann und Celans Ehefrau Gisèle Celan-Lestrange. An der Schnittstelle zwischen Leben und Dichtung zeugen die 196 Briefe, Karten, Telegramme und Widmungen von der zentralen intellektuellen und vor allem emotio- nalen Bedeutung, die Celan und Bachmann für das Sprechen und Schreiben des jeweils anderen hatten.
»Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser!/Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.« Mit dem Widmungsgedicht »In Aegypten« eröffnet Celan im Juni 1948 den Briefwechsel, wenige Wochen nach ihrer ersten Begegnung in Wien, und spricht die offenkundigen Asymmetrien zwischen ihnen an: Er, der 1920 in Czernowitz geborene Jude, der die Schoa nur mit Glück überlebt hat; sie, die sechs Jahre jüngere Tochter eines frühen NSDAP-Mitglieds aus Klagenfurt. Schmerz und Schuld, Desillusion und Erlösungsbegehren prägen die beginnende Liebesbeziehung.
Einfühlsam und scheu, dann wieder euphorisch versucht die junge Philosophiestudentin, sich zu dieser außergewöhnlichen Liebe zu verhalten. »Manchmal möchte ich nichts, als weggehen und nach Paris kommen, spüren, wie Du meine Hände anfasst, wie Du mich ganz mit Blumen anfasst und dann wieder nicht wissen, woher Du kommst und wohin Du gehst«, schreibt sie am 24. Juni 1949. »Ich sollte ein Schloss für uns haben und Dich zu mir holen, damit Du mein verwunschener Herr darin sein kannst, wir werden viele Teppiche drin haben und Musik, und die Liebe erfinden.«
Celan reagiert freudig, aber auch skeptisch. August 1949: »Vielleicht täusche ich mich, vielleicht ist es so, dass wir einander gerade da ausweichen, wo wir einander so gern begegnen möchten, vielleicht liegt die Schuld an uns beiden. Nur sage ich mir manchmal, dass mein Schweigen vielleicht verständlicher ist als das Deine, weil das Dunkel, das es mir auferlegt, älter ist.« Bachmanns Antwort, drei Monate später, schwankt zwischen dem Gefühl, »nicht helfen zu können«, und dem unbedingten Versprechen, ihn »heimzuholen aus der Verlorenheit«. Gleichzeitig äußert sie Zweifel an einer Liebe, in der sie »immer etwas erstickt hält«.
Zweimal, im Herbst/Winter 1950 und im Frühjahr 1951, gehen beide in Paris eine »Ehe auf Zeit« ein. Das Experiment misslingt. Für Celan ist danach nur noch Freundschaft möglich, »das Andere unrettbar verloren.« (16. Februar 1952) Dennoch bleiben sie einander zugewandt. Doch die gemeinsame Teilnahme an der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 führt zu neuen Verletzungen. Bachmann wird als literarisches »Fräuleinwunder« gefeiert, Celan hingegen, als er (auf nachdrück-lichen Zuspruch Bachmanns hin) die »Todesfuge« liest, mit Goebbels verglichen. Seinem Vorwurf, sie habe ihn »in diesem deutschen Urwald« allein gelassen, begegnet sie mit Widerspruch und weiteren Bemühungen um seine Gedichte. Gesten der Versöhnung sind 1953 die einander gewidmeten Gedichtbände »Mohn und Gedächtnis« und »Die gestundete Zeit«, dann bricht der Dialog für vier Jahre fast ganz ab.
Im Oktober 1957 sehen sie sich bei einer Tagung in Wuppertal wieder. Für Celan, inzwischen glücklich mit der Grafikerin Gisèle Lestrange verheiratet und Vater eines Sohnes, führt diese Begegnung neu »ins Leben«. Fast täglich eignet er Bachmann Gedichte zu. Sie schweigt zunächst, aufgewühlt von ihrem »Freispruch« – »zu welchem Ende?« (28. Oktober 1957), fürchtet neues Unglück, Zerstörung. Celan, fordert sie schließlich eindringlich, muss bei seiner Familie bleiben. Doch noch für einige Zeit wird sie für ihn »die Wahrheit« und mehr als das sein. 31. Oktober 1957: »Du bist der Lebensgrund (...) Du bist die Rechtfertigung meines Sprechens. (...) Ein Wort von Dir – und ich kann leben.«
1959 erschüttern mehrere Vorfälle Celans Vertrauen ins Leben und Sprechen. Er wird mit der Unterstellung konfrontiert, Werke von Ivan Goll plagiiert zu haben. Hinzu kommen antisemitische Reaktionen auf Lesungen, Zerwürfnisse mit den Schriftsteller-Freunden Andersch und Böll, die der Dichter bitter als »patentierte Antinazis« wahrnimmt (10. August 1959). Bachmann spricht ihm Mut zu, doch nicht genug für Celans Empfinden. Zwei Monate später erscheint Günter Blöckers vernichtende Besprechung von Sprachgitter im Berliner Tagespiegel. Celan empfindet den Artikel als antisemitisch. Als Bachmann vorsichtige Zweifel äußert, kommt es zum Bruch. 12. November 1959: »Du weißt (...) – oder vielmehr: Du wusstest es einmal –, was ich in der Todesfuge zu sagen versucht habe. Du weißt – nein, Du wusstest – und so muss ich Dich jetzt daran erinnern –, dass die Todesfuge auch dies für mich ist: eine Grabschrift und ein Grab. Wer über die Todesfuge das schreibt (...), der schändet die Gräber.« Nur wenige Tage später nimmt Celan wieder Kontakt zu Bachmann auf, versöhnt sich mit ihr. Doch der Vorwurf, sie setze sich nicht genug für den existenziell bedrohten Freund ein und kümmere sich statt dessen um ihren eigenen literarischen Erfolg, verstummt nie ganz. Es sind zwei sich verfehlende Verwundete, die sich hier noch schreiben.
»Du willst das Opfer sein, aber es liegt an Dir, es nicht zu sein (...) Aber das ist dann Deine Geschichte und das wird nicht meine Geschichte sein, wenn Du Dich überwältigen lässt davon.« Diese Zeilen schickt Bachmann nicht ab. Celan schreibt noch zweimal: 1963, nachdem beide durch schwere psychische Krisen gegangen sind; 1967, um ihr zu danken, dass sie ihn Piper als Übersetzer Anna Achmatowas empfohlen hat. Die Bitten um »ein paar Zeilen« bleiben unbeantwortet.
Als Bachmann von Celans Selbstmord am 20. April 1970 erfährt, überarbeitet sie Malina. In der Traumszene im zweiten Kapitel heißt es jetzt: »Kann ich Sie sprechen, einen Augenblick? fragt ein Herr, ich muss Ihnen eine Nachricht überbringen. (…) Er zeigt mir ein vertrocknetes Blatt, und da weiß ich, dass er wahr gesprochen hat. Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluss ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.«
ingeborg bachmann / paul celan: herzzeit. der briefwechsel
Suhrkamp, Frankfurt/M. 2008, 400 S., 24,80 €