von Wladimir Struminski
In der vergangenen Woche hat sich die Knesset zur Verabschiedung eines Reser-
visten-Gesetzes durchgerungen, das der damalige Generalstabschef Dan Schomron bereits vor zwei Jahrzehnten gefordert hat. Danach sollen Reservisten für ihren Dienst Steuervergünstigungen bekommen. Den meisten Soldaten wäre Wehrgerechtigkeit lieber als das Geld. Denn während Landesverteidiger drei Jahre lang als Wehrpflichtige und danach bis zum 40., bei Offizieren bis zum 45. Lebensjahr als Reservisten dienen, drücken sich immer mehr Israelis vor der schweren Pflicht.
Im vergangenen Jahr rückten nur drei von vier jungen Israelis, die das 18. Lebensjahr erreicht hatten, ein. Elf Prozent des Jahrgangs wurden als Torastudenten an ultraorthodoxen Jeschiwot freigestellt. Vor anderthalb Jahrzehnten waren es nur fünf Prozent. Weitere sieben Prozent erreichten die Freistellung aus medizinischen Gründen. Zu Anfang des Jahrzehnts lag dieser Anteil bei vier Prozent. Da die Volksgesundheit in dieser Zeitspanne keinen dramatischen Schaden erlitt, liegt nahe, dass sich Dienstunwillige auf diesem Weg der Einberufung entziehen. Weitere Gründe für die Freistellung sind Vorstrafen und langfristiger Auslandsaufenthalt. Bei Mädchen liegt die Einberufungsquote sogar bei nur 60 Prozent. Hier geben die meisten einfach an, religiös zu sein – nach geltendem Recht ein triftiger Freistellungsgrund, in vielen Fällen allerdings erlogen. Eine von den Dienstunwilligen gern vorgetragene Legende besagt, die Streitkräfte bräuchten gar nicht so viele Soldaten. Das wird von der Armee bestritten. Nach Angaben des »Rates für Frieden und Sicherheit«, einer Vereinigung ranghoher Reserveoffiziere, werden bereits im kommenden Jahr zehntausend Uniformträger fehlen.
Allerdings regt sich zunehmend Widerstand gegen die Freikostgänger, die sich von anderen beschützen lassen. Wie die Ächtung Ungedienter aussieht, musste vor kurzem die Nachwuchssängerin Schira Gawrielow erleben. Beim Ausstand von Mosche Iwri-Sukenik, dem scheidenden Befehlshaber des Armeekorps’ Nord wollte Schira zusammen mit ihrem Vater, dem Sänger Miki Gawrielow, auf die Bühne steigen. Daran aber wurde sie von Elasar Stern, Personalchef der Armee, gehindert. Da die junge Frau sich vor dem Wehrdienst gedrückt habe, trug Generalmajor Stern vor, dürfe sie vor dem Offiziersforum nicht singen. Stern wurde von allen anwesenden Generalen und anderen Offizieren unterstützt. Da half kein Flehen: Der Gedemütigten blieb der Auftritt verwehrt.
Der Vorfall ist nur ein Beispiel von vielen. Ausgangspunkt der Kampagne gegen Drückeberger war der Libanonkrieg von 2006 – gerade, weil er zahlreiche Tote und Verwundete mit sich brachte. Als Erste kamen Unterhaltungskünstler ins Visier der nicht mehr schweigenden Mehrheit. Pini Badasch, Bürgermeister der Kleinstadt Omer, versprach, bei von der Stadtkasse geförderten Veranstaltungen niemanden zu engagieren, der sich dem Dienst verweigert hat. Dieses Prinzip haben sich inzwischen auch andere zu eigen gemacht. Beer Schewa, so ein Sprecher der Stadt gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, werde bei Feiern zum 60. Jahrestag der Staatsgründung keine ungedienten Künstler verpflichten.
Im vergangenen Jahr zog sich das Spitzenmannequin Bar Rafaeli den Zorn ihrer Landsleute zu. In einem Interview erzählte das Model voller Stolz, ihre mit einer fiktiven Eheschließung erschlichene Freistellung von der Armee habe sich »voll bezahlt gemacht«. Seitdem ist das Outen von Ungedienten auch in den Medien populär geworden.
Zum Jahreswechsel 2007/8 startete Rami Yehoshua, Inhaber der Werbeagentur TBWA, eine Kampagne unter dem Namen: »Ein echter Israeli drückt sich nicht.« Mit Werbespots, Anzeigen, Straßenwerbung und Autoaufklebern wurden die Ungedienten angegriffen. Den Wehrdienstleistenden sprach die Kampagne dagegen Mut zu: »Ihr sollt wissen, dass ein ganzer Staat euch salutiert.« Die Kampagne, berichtet Zvi Vilder, Chef der PR-Firma VPR, fand großen Widerhall. »Uns ging es darum«, so Vilder, der sich Yehoshua als Mitinitiator angeschlossen hat, »die Verweigerer zu beschämen.« Die beiden Unternehmer nehmen das Problem persönlich: Yehoshuas Sohn wurde kürzlich einberufen, Vilders Sohn wird bald folgen.
Ähnlich geht es den Eltern von Omer G., deren Sohn in einer Eliteeinheit dient. »Wenn du morgens in den Nachrichten hörst, in Dschenin seien soundso viele Terrorverdächtige festgenommen worden, war mein Kleiner in der Nacht im Einsatz«, sagt Omers Vater Rachamim. »Den Drückebergern«, empört sich der Reparaturhandwerker aus Jerusalem, »kann ich nur sagen: ›Auch ihr müsst dieses Land beschützen.‹«
Aus dem Büro von Ehud Olmert hat Vilder einen ermutigenden Anruf erhalten. »Sie sagten mir, man finde unsere Kampagne gut.« Dass die Regierung den Worten auch Taten folgen lässt, ist aber zweifelhaft. Angesichts der Schlüsselrolle, die ultraorthodoxe Parteien in der israelischen Politik einnehmen, packt wohl auch eine künftige Koalition das Problem nicht so schnell an.