Drinnen
und draußen
Wie weit soll sich die jüdische Gemeinschaft öffnen? Ein Seminar
von Ronen Guttman
Titel können verwirren. Als die Konrad-Adenauer-Stiftung unlängst zum Seminar »Die Aufgabe der jüdischen Gemeinden in Deutschland« einlud, fragte sich manches Gemeindemitglied, was damit wohl gemeint sei. Sollten Juden hierzulande nach der Schoa eine funktionale, moralische Aufgabe übernehmen?
»Das war natürlich nicht meine Absicht«, sagt Hans Erler. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Stiftung bedauert, daß es zu diesem Mißverständnis gekommen ist und möchte es aufklären. Es gehe ihm darum, darauf hinzuweisen, »daß in den jüdischen Gemeinden Aufgaben wahrgenommen werden, von denen die allgemeine Öffentlichkeit leider keine Kenntnis nimmt«, erklärt der Politikwissenschaftler.
Daß eine Kluft zwischen dem Innenleben der Gemeinden und dem von außen herangetragenen Anspruch besteht, bestätigt Rabbiner Julian-Chaim Soussan, einer der Referenten des Seminars. Die vielen ihres Judentums entwurzelten Zuwanderer, die sozialen Probleme, die sich verstärkende Diskussion zwischen reformorientierten und traditionellen oder orthodoxen Juden – »all dies formt die Realität der jüdischen Gemeinden hierzulande«, betont der Düsseldorfer Gemeinderabbiner.
»Wir wurden zu moralischen Instanzen erhoben«, sagt Soussan und verweist auf die ehemaligen Zentralratspräsidenten Ignatz Bubis und Paul Spiegel. Aber der Rabbiner sieht darin auch eine Chance: »Wir sollten uns nicht nur zum Antisemitismus äußern, sondern zu allgemein-gesellschaftlichen Themen.« Die Öffnung könnte eine neue Perspektive bieten: Das deutsche Judentum als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft.
Nora Goldenbogen sieht dies ähnlich. »Öffnung nach außen, Arbeit nach innen«, nennt sie das. Die Vorsitzende der Dresdner jüdischen Gemeinde sperre sich nicht dagegen, Demonstrationen gegen rechts mitzuorganisieren, sagt sie. »Noch wichtiger aber ist es, der Öffentlichkeit zu zeigen, daß wir da sind und unsere Kultur leben«, betont sie.
Einer der Teilnehmer des Seminars ist Roland Mätz, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Doberschütz bei Leipzig. Er habe erst durch den Neubau der Dresdner Synagoge von jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland gehört. Zu dem Seminar sei er gereist, weil er sich ein Bild machen wollte – »unabhängig von den Medien«, wie er sagt. Sein Fazit: »Ich wünsche mir mehr. Mehr Seminare, mehr Dialog und mehr selbstbewußt auftretendes Judentum in Deutschland.«