berlin

Drei plus eins

Die Sicherheitsvorkehrungen sind unübersehbar, aber dezent. Freundlich und gut gelaunt überprüfen die Security-Mitarbeiter Taschen und Rucksäcke. Mehrere hundert Gäste aus dem In- und Ausland durchschreiten an diesem sonnigen Donnerstagvormittag die Metalldetektoren vor der Synagoge Rykestraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Nachdem Anfang dieses Monats in München erstmals nach 1945 wieder orthodoxe Rabbiner ordiniert wurden (vgl. Jüdische Allgemeine vom 4. Juni), sind in Berlin ihre liberalen Kollegen an der Reihe. In einem feierlichen Gottesdienst erhalten drei Absolventen des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs die Smicha.

prominenz Unter den Gästen sind Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Auch Vertreter christlicher Konfessionen sind zahlreich erschienen, darunter Bischöfin Maria Jepsen, Georg Kardinal Sterzinsky, Erzbischof von Berlin, und der katholische Theologe Hans Küng, dem am Abend desselben Tages der Abraham-Geiger-Preis überreicht werden soll (siehe Einspalter). In der Vorhalle kommen Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, aus dem Händeschütteln kaum heraus.
Aber auch viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Berliner Bürger und Nachbarn aus der Rykestraße sind gekommen. Mit Andrea Lissner hat sich auch eine Urenkelin von Abraham Geiger eingefunden. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden, hatte ihre Teilnahme zunächst aus Termingründen abgesagt und es nun doch geschafft. Zentralrats-Generalsekretär Stephan J. Kramer ist ebenfalls hier und spricht ein Grußwort.
Die vorderen Reihen des großen Synagogenbaus sind für die zahlreichen Rabbinerinnen und Rabbiner aus Deutschland, den USA, Großbritannien und Israel reserviert, die am Gottesdienst und der Ordinationsfeier mitwirken – neben Walter Ho-
molka die Präsidentin der Zentralkonferenz amerikanischer Rabbiner, Ellen Weinberg Dreyfus, ferner Henry G. Brandt, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkon-
ferenz, der niedersächsische Landesrabbiner Jonah Sievers, William Wolff, Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, sowie aus Berlin Gesa Ederberg und Andreas Nachama, Rabbiner Harry Jacobi aus London, der 1925 in Berlin geboren wurde, und viele andere, beinahe 50 an der Zahl.

hoffnung Zwar ist es keine Premiere, bereits 2006 waren drei Absolventen des Geiger-Kollegs in Dresden ordiniert worden –, doch tut das der Festlichkeit der Veranstaltung keinen Abbruch. Der Chor des Jewish Institute for Cantorial Arts, bestehend aus Rabbiner- und Kantorenstudenten und Kantorin Mimi Sheffer begleiten den Gottesdienst mit liturgischer Musik. Unterstützung erfahren sie dabei von der Harfenistin Florence Sitruk, dem Organis-
ten Mirlan Kasymaliev und einem vierköpfigen Bläserensemble. Gelesen wird ein Tora-Abschnitt (4. Buch Mose 14, 11-25).
Die Ordination der Absolventen nimmt Rabbiner Walter Jacob, der Präsident des Abraham-Geiger-Kollegs, vor. Nachdem er ihnen die Tallitot und die Urkunden übergeben hat, äußert Jacob in seiner Ansprache, dass der deutsche Rabbinernachwuchs dazu beitragen möge, neben Israel und den USA, in Europa eine dritte Säule des Judentums wiedererstehen zu lassen. Und Rabbiner Henry Brandt ergänzt in seinem Grußwort: »Mögen sie erst die Vorhut einer wachsenden Zahl junger Juden und Jüdinnen sein, die ausgerüstet mit Liebe und Kenntnis unserer Tora, aber auch integriert in der sozialen und kulturellen Um-
welt unserer Gemeinden, dieses verantwortungsvolle und schöne Amt anstreben und so unsere Zukunft sichern.«

aussichten Doch nur einer der drei Rabbiner wird in Deutschland bleiben, Gábór Lengyel, der schon seit Jahren die Liberale Jüdische Gemeinde in Hannover betreut und ihre Gottesdienste leitet. 1941 in Budapest geboren, überlebte Lengyel die Schoa durch die Hilfe des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg. Ebenfalls 1941 geboren wurde Richard Newman. Er wird als Rabbiner in der liberalen jüdischen Gemeinde von Kapstadt tätig sein. Neben den beiden fast 70-Jährigen ist der 1965 in Buenos Aires geborene Roly Zylberstein geradezu der Benjamin unter den frisch ordinierten Rabbinern. Auch er verlässt Deutschland, um die jüdische Reformgemeinde von Barcelona zu leiten.
Ebenfalls die Koffer packt Juval Porat. Er ist der erste Kantor, der nach 1945 in Deutschland ausgebildet wurde, und auch er empfängt seine Ordination in der Rykestraße. Mit seinen 31 Jahren ist er der Einzige, den man noch unter die Kategorie »Nachwuchs« zählen kann. Er wird eine Kantorenstelle in Los Angeles annehmen. Die deutsche Säule des Judentums bleibt vorerst schlank. Doch das dürfte sich schon im nächsten Jahr ändern. Dann sollen weitere junge Menschen zu Rabbinern ordiniert werden. Mehrere deutsche Gemeinden haben bereits Bedarf angemeldet.

Kultur

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