Oliver Ahlfeld ist noch immer beeindruckt. Vor knapp einer Woche ist er aus Israel zurückgekehrt, aber in Gedanken ist er noch dort: »Israel ist ein so komplexes Land – wie ein Kaleidoskop.« Der Religionslehrer aus dem mecklenburg-vorpommerschen Parchim war einer von 18 Pädagogen, die zwei Wochen lang am Seminar »Namen und Schicksale – Jüdisches Leben während des Holocaust« teilgenommen haben. Die von der Schweriner Landesregierung initiierte Fortbildung sollte Pädagogen auch bei der Frage helfen: Wie gestalte ich den Unterricht, wenn es um das heutige Israel geht? Und was müssen Schulbücher in diesem Zusammenhang leisten?
Dafür gab es zwischen 1981 und 1985 schon einmal einen Lösungsvorschlag: die deutsch-israelische Schulbuchkommission, die auf deutscher Seite beim Braunschweiger Georg-Eckart-Institut (GEI) für internationale Schulbuchforschung, das Verlage bei der Abfassung von Schulbüchern berät, ihren Sitz hatte. Die aus israelischen und deutschen Historikern, Geografen und Judaisten bestehende Expertenrunde bewertete die Darstellung der deutsch-jüdischen Geschichte in Schulbüchern und gab Empfehlungen für die Themengestaltung im Unterricht ab. In den 90er-Jahren wurde es, abgesehen von einer zweiten Auflage im Jahr 1992, still um die Schulbuchkommission. Im Mai dieses Jahres regte der bisherige israelische Gesandte Ilan Mor beim GEI an, eine neue Expertenrunde ins Leben zu rufen. Denn in fast 20 Jahren hat sich in beiden Ländern eine Menge verändert.
In der vergangenen Woche reiste nun Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Henry Tesch (CDU), der auch Vorsitzender der Kultusministerkonferenz ist, nach Israel, um sich mit dem israelischen Bildungsminister Gideon Sa’ar in Jerusalem zu treffen. Tesch hob hervor: »Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Kette der Erinnerungen nicht abreißt.« Auch Sa’ar unterstrich, dass viel erreicht sei, wenn bei Jugendlichen ein Bewusstsein für die »Be-
deutung der Schoa für die deutsche Identität und die daraus erwachsende Verantwortung resultiert«. Tesch will die Fortsetzung der beidseitigen Schulbuchkommission im Oktober auf der Kultusministerkonferenz vorschlagen, so dass noch in diesem Jahr mit der Arbeit begonnen werden könnte.
Theorie Religionslehrer Ahlfeld ist mit den Schulbüchern seines Fachbereichs ganz zufrieden, trotzdem muss er hin und wieder logische Brücken bauen, um den Schülern zu vermitteln, »dass die Bibel kein Märchenbuch ist«. Seine Kollegin Susanna Ratajczak unterrichtet Philosophie an einer Regionalschule in Ribnitz-Damgarten. Sie bewertet die Lehrmaterialien rund ums Judentum als sehr theoretisch und begrüßt deswegen eine Überarbeitung der Schulbücher. »Ich würde mit meinen Schülern gern praktisch arbeiten« – etwa Begegnungen mit jüdischen Schülern oder Rundgänge durch die Stadt auf der Suche nach jüdischen Spuren unternehmen.
Praxis Wolfgang Marienfeld, emeritierter Professor für Geschichte und Didaktik, ist ein Urgestein der deutsch-israelischen Schulbuchkommission. Er kann sich noch sehr gut an den Ablauf Anfang der 80er-Jahre erinnern: »Wir haben uns regelmäßig in Jerusalem oder Braunschweig getroffen und auf unseren Konferenzen einzelne Epochen der Geschichte besprochen«, sagt er. Daraus gingen dann Empfehlungen hervor, zum Beispiel die Gewichtung von Themen betreffend. Für den Experten war es wichtig, dass die jüdische Geschichte nicht mit dem Jahr 1945 aufhört und dass Juden nicht nur als Objekte der Geschichte gesehen werden. »Schwerpunkt sollte auch die jüdische Kultur und Lebensweise sein«, sagt Marienfeld, der eine Wiederaufnahme der deutsch-israelischen Schulbuchkommission begrüßen würde. Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) möchte ein Bild des moder-
nen Israel, aber auch des modernen Deutschland vermitteln. Seit über 40 Jahren veranstaltet die GEW Seminare, zu denen sich Gewerkschaftsmitglieder aus beiden Ländern treffen, miteinander reden und einander zuhören, sagt ein Sprecher der GEW. Denn so entstehe ein Bild, das kein theoretischer Text vermitteln könne.
Und auch die Eindrücke, die Oliver Ahlfeld und Susanna Ratajczak während ihrer Reise gewonnen haben, können Schulbücher auch nur schwer wiedergeben.