Claims Conference

Dokufiction

von Wladimir Struminski

Eine öffentliche Hinrichtung. Anders kann man die israelische Fernsehdokumentation »Mussar HaSchilumim« – das Wortspiel bedeutet in etwa: Entschädigungs-Zahlungsmoral – nicht bezeichnen. Der von Orli Wilnai und Gai Meros erstellte Film, der am vergangenen Mittwoch pünktlich zum Jom Haschoa im Fernsehen zu sehen war, nimmt die Conference on Jewish Materials Claims against Germany ins Visier. »Die Claims Conference«, so die Schlüsselthese des Films, »beraubt Holocaustüberlebende«.
Die Organisation gebe gut eine Milliarde Dollar nicht für die Überlebenden frei. Die Quelle der einbehaltenen Gelder, so der Bericht, sei die Rückerstattung erbenlosen jüdischen Vermögens in den neuen Bundesländern, als dessen Nachfolgeorganisation die Claims Conference fungiert. Zudem lehne die Organisation Anträge auf persönliche Entschädigung aus deutschen Mitteln ab, um sich des Geldes selbst zu bemächtigen.
Wie der Film zudem nahelegt, werde ein Großteil der Mittel für Zwecke ausgegeben, die mit Opfern der NS-Verfolgung nichts zu tun hätten, etwa für Vorträge über den Holocaust oder auch für eine Ta-
nach-Übersetzung in Brailleschrift. Selbst wenn Mittel Institutionen zugutekämen, die unter anderem, wenngleich nicht nur NS-Verfolgte betreuten, würden Überlebenden keine Vorrechte eingeräumt. Versuche der israelischen Regierung, sie unter eine wie auch immer geartete Aufsicht zu stellen, schmettere die Claims Conference beharrlich ab.
Soweit die Vorwüfe. Doch kann die Do-
kumentation nicht überzeugen. Die Ka-meraführung ist suggestiv. Gesprächspartner, die in ein schlechtes Licht gerückt werden sollten, werden aus ungünstigem Winkel aufgenommen. Nicht einmal gegenüber Saul Kagan, einem der Gründungsväter der Claims Conference, vermochten sich Wilnai und Meros zurück-
zuhalten. Dem heute 86-Jährigen fielen die beiden Journalisten immer wieder lautstark ins Wort. Zu guter Letzt ließen sich die Filmmacher beim Erstatten einer strafrechtlichen Anzeige gegen die Claims Conference filmen. Die Organisation, so die zur Streitpartei mutierten Berichterstatter gegenüber einer etwas hilflos dreinbli-ckenden Justizbeamtin in New York, habe sich des Geldmissbrauchs schuldig gemacht.
Zur Arroganz kam Ignoranz hinzu: Viele der im Film genannten Fakten sind – trotz monatelanger Recherchen – schlicht falsch. Damit lieferten die Medienleute der Organisation eine Steilvorlage fürs De-
menti. Man sitze, so die New Yorker Zentrale der Claims Conference, keineswegs auf einer Milliarde Dollar. Vielmehr lägen die aus der Vermögensrückerstattung stammenden Reserven bei 318 Millionen Dollar – und die seien bereits für Institutionen und Projekte verplant. Erst recht absurd ist die Behauptung, im Einklang mit verbindlichen Kriterien abgelehnte individuelle Entschädigungsanträge würden die »Kriegskasse« der Claims Confe-
rence aufstocken. Das Geld verbleibt beim deutschen Steuerzahler. »Der Film ist eine vollkommen einseitige Litanei von Angriffen«, entrüstete sich die New Yorker Zentrale nach Ausstrahlung der Dokumentation.
Dabei gibt es auch seriöse Kritik, der sich die 1951 als weltweite Vertretung al-
ler jüdischen NS-Verfolgten gegründete Claims Conference bei ihrer Mittelverwendung gegenübersieht So fließt ein Fünftel aller aus der Rückerstattung erbenlosen jüdischen Vermögens erzielten Einnahmen in die Holocaust-Erziehung. Diese Politik ist in der jüdischen Welt durchaus umstritten und widerspricht der ursprünglichen Zweckbestimmung der Claims Conference, die alle von ihr erzielten Entschädigungsmittel für das Wohl von Holocaust-Überlebenden verwenden wollte.
Die Kritik ist umso verständlicher, da viele Tausende von ihnen bittere Not leiden. Derzeit leben in Israel noch 260.000 Holocaustüberlebende – 90.000 unter der Armutsgrenze. Auch das Zuwendungssys-tem ist archaisch, selbst wenn es, wie die Organisation stolz verkündet, »von unserem Rechtsberater überwacht wird«. Hier täte mehr Transparenz gut.
Politisch gesehen, ist der Imageschaden für die Claims Conference trotz der überwiegend haltlosen Vorwürfe groß: Denn immerhin jeder siebte erwachsene Israeli hat die Dokumentation gesehen. Andere haben zumindest darüber gelesen. Und einige Politiker haben sich der Kritik sogar angeschlossen. »Der Film hat mich zutiefst geschockt«, erklärte der Vorsitzende des Knessetausschusses für Staatskontrolle, Swulun Orlew. Ran Cohen von der linken Meretz-Partei findet es ebenfalls »unannehmbar, dass die Claims Conference Unsummen jenseits jeglicher Transparenz verschenkt«. Orlew will zudem eine Überprüfung der Claims Conference durch den israelischen Staatskontrolleur und notfalls ihre Ablösung durch israelische Geldverwalter erzwingen. Dass Letzteres nicht möglich ist, mindert den politischen Fall-out nicht.

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