von Anne Przybyla
Wer Sigalit Landau beim Aufbau ihrer Installation »The Dining Hall« in den Berliner Kunstwerken besucht, könnte meinen, der Heldin eines Actionfilms zu begegnen: Mit blondem, kurz geschnittenem Haar, Combat-Hosen und gelbem T-Shirt wirbelt eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen Israels zwischen allerlei sperrigem Equipment aus Großküchen und bizarren, meterhohen Pappmaché-Fleischspießen herum. Wo andere Künstler in mehreren Räumen einzelne Skulpturen oder Bilder präsentieren, bespielt Landau fünf Räume und eine Halle mit einer einzigen Installation aus Skulpturen und Objekten des täglichen Gebrauchs, so- genannten Ready-Mades.
Rein äußerlich dreht sich »The Dining Hall« um Nahrung – um Rituale der Zubereitung und des Verspeisens. In scharfen Kontrasten vergegenwärtigt Sigalit Lan-dau historisch unterschiedliche Zusammenhänge der Nahrungsaufnahme: Auf der einen Seite das kollektiv organisierte Essen in der Großküche ehemaliger Kibbuzim und die Intimität israelischer Einwandererküchen der 50er- und 60er-Jahre. Beide Orte sind weitgehend mit originalem Mobiliar in Szene gesetzt. Auf der anderen Seite die »Döner-Halle«: Monumentale Fleisch-Skulpturen ragen in die Höhe. Mit Schwert und Leiter rücken ihnen »Caterer« – vergleichsweise winzige , hautlose Menschenfiguren – zu Leibe. Die verkehrten Größenverhältnisse und das viele rohe Fleisch, das Landau aus Pappmaché modelliert hat, machen die Döner-Halle zu einem beunruhigenden Ort. Nichts ist hier, wie es sich eigentlich gehört. Dem Betrachter drängt sich das Bild eines blinden Überlebenskampfes auf, den Individuen unter Aufopferung ihrer Herkunft und Überzeugungen gegen das Schicksal führen.
Woher nimmt die Künstlerin diese bedrückende Vision? Es handele sich, sagt Landau, um eine »superrealistische Be-obachtung von kulturellen Energieströmen«, wie sie durch Immigranten in den großen Industrie- und Dienstleistungsmetropolen entstehen. Die auf ihr bloßes Fleisch reduzierten Figuren, die schon 2002 in ihrer Installation »The Country« auftauchten, nennt Landau auf Englisch »reversed crusaders«: Im Gegensatz zu den Kreuzrittern, die aus dem Westen kamen und viel Metall an sich hatten, kommen diese aus dem Osten und haben nicht einmal ihre Haut dabei. »Sie kommen von irgendwoher, machen Essen und verschwinden wieder.«
Auch Sigalit Landau stammt, wie fast alle Israelis, von Immigranten ab. Die aus Czernowitz stammende Familie ihres Vaters überlebte die Schoa. Mit elf Jahren kam ihr Vater nach Israel, wo er Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem wurde. Dort kam die Künstlerin 1969 zur Welt, wuchs in der heiligen Stadt auf. Die religiöse Atmosphäre des Orts ihrer Kindheit hat Landau allerdings nicht geprägt. Ihre Familie kommt aus einer säkularen Tradition: »Der Großvater war Kommunist, ein Rebell«, erinnert sie sich. Auch in den Augen der Enkelin, die mit Mann und Kind im vibrierenden Tel Aviver Bezirk Florentine lebt, hat die sozialistische Utopie immer noch einen gewissen Charme. Den der Idee des Kollektivs verpflichteten Kibbuz hält sie in mancher Hinsicht für den besten der drei in ihrer Installation vergegenwärtigten Orte: »Der Kibbuz hat in der Realität versagt, aber dass Leute solche Anstrengungen auf sich genommen haben, um Utopia zu erreichen, das bewundere ich.«
Sigalit Landau »The Dining Hall«. Bis 13. Januar im KW Institute for Contemporary Art in Berlin, Auguststr. 69, 10117 Berlin
www.kw-berlin.de
Zur Ausstellung erscheint Anfang Januar ein Katalog, der sowohl die aktuelle Ausstellung als auch das Werk Sigalit Landaus aus den vergangenen zehn Jahren dokumentiert.