von Yves Kugelmann
Wenn Barbra Streisand auftritt, ist alles etwas anders als bei gewöhnlichen Konzerten. Standing Ovations bereits vor dem ersten Lied, Berichterstattung weltweit, nie da gewesene Sicherheitsvorkehrungen, astronomische Ticketpreise, von deren Erlös ein großer Teil an Streisands Stiftung für Aids- und Krebshilfe geht – und die geheimnisvolle Aura einer Frau, die seit 47 Jahren als Schauspielerin, Entertainerin und Sängerin zu den gefragtesten Stars der Welt gehört. Barbra Streisand ist ein Mythos. Mehr als all ihre künstlerischen Qualitäten, ihre eigenwillige und disziplinierte Karriereplanung und ihre beeindruckenden künstlerischen Leis-tungen zeichnet sie vor allem eines aus: Sie macht sich rar, nimmt sich zurück, nutzt die Öffentlichkeit allenfalls dann, wenn ihr politisches und soziales Engagement es verlangen, rückt ihre Kunst und nicht die Person in den Vordergrund. Barbra Streisand lässt sich nicht zum Sklaven von PR-Mechanismen machen, die heutzutage im Showbusiness oft Individualität, Charakter und Charisma ersetzen.
Barbra Streisand ist keine öffentliche Kunstfigur wie beispielsweise Madonna, sondern auf und neben der Bühne eine authentische, emanzipierte, offene, selbstironische und nicht zuletzt mit Chuzpe ausgestattete Frau, die unbeirrt, aber mit Bedacht ihren Weg geht. Sie weiß um den Personenkult, der um sie gemacht wird, und heizt ihn noch dadurch an, dass sie sich ihm entzieht. Diese vermeintliche Flucht vor der Öffentlichkeit avancierte vor dem Eröffnungskonzert in Zürich am 18. Juni zum eigentlichen Medienthema. Dass Barbra Streisand im Gegensatz zu Karikaturen wie Paris Hilton oder Britney Spears unerkannt und ohne Bodyguards durch Zürichs Restaurants und Straßen flanieren konnte, erregte das Erstaunen einer Öffentlichkeit, die mit der Normalität einer großer Künstlerin offenbar nicht umgehen kann.
Als Sängerin und Schauspielerin hat Barbra Streisand die Superlative gesetzt, die im Vorfeld ihrer Europatournee derart oft heruntergebetet wurden, dass dahinter das Wesen der Künstlerin fast verloren ging: Sie gewann als Erste alle großen US-Showpreise, den Oscar, den Tony, den Grammy, den Golden Globe und viele andere für Filme wie Funny Girl und Yentl, für ihre Broadwayshows und Schallplatten. Mit über 50 Goldenen und 30 Platin-Schallplatten hat sie mehr Tonträger verkauft als die Beatles oder die Rolling Stones.
In Zürich verzauberte Streisand die Zuschauer mit einer Zeitreise durch ihr musikalisches Schaffen: Big Band, Swing, Balladen, Filmmusik, Musical und immer wieder Broadway-Einlagen – von allem war etwas dabei und zeigte Streisands vielfältiges Schaffen. Sie sang Klassiker wie Funny Girl, Evergreen, The Music of the Night, You Don’t Bring Me Flowers, und My Shining Hour. Zwei emotionale und musikalische Höhepunkte des Abends, die das Publikum ergriffen und begeisterten, waren der Song Papa aus ihrem Film Yentl (Streisand: »Ein Lied für meinen Vater – für alle Väter«) und Somewhere aus West Side Story, in denen Streisand mit geballter Kraft und Emotion anklingen ließ, welche technischen und stimmlichen Qualitäten sie auch mit 65 Jahren immer noch hat. Mit viel Esprit, Humor und Schlagfertigkeit führte sie durch den Abend, erzählte von ihrem kulinarischen Rundgang durch Zürich und ging mit viel Selbstironie auf sich und ihre Karriere ein. Eine gute Show mit Witz und Inszenierung, in der die Musik fast zu kurz kam. Streisand steht in der Tradition des Trios Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin, die Gesang und Schauspiel auf der Bühne zur Show vereinten. In Zürich zauberte Barbra Streisand das Publikum in jene Zeit der großen Shows zurück. Kommenden Samstag in Berlin wird ihr das mit Sicherheit wieder genauso gelingen.