geschichte
»Dimension nicht begriffen«
Reinhard Rürup über deutsche Forscher in der NS-Zeit
Seit Frühjahr 1933 wurden jüdische Wissenschaftler systematisch aus den Reihen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, vertrieben. Mit Reinhard Rürup, dem Leiter eines Forschungsprojekts zur Geschichte der KWG, sprach Nino Ketschagmadse.
Herr Rürup, wie wichtig waren jüdische Wissenschaftler in der früheren Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft?
rürup: Der Anteil war relativ hoch. Es gab eine Reihe von Institutsdirektoren, wie Fritz Haber, oder Nobelpreisträger wie Albert Einstein. Seit 1933 sind mehr als 100 Wissenschaftler ausgeschieden, die meisten wegen der NS-Politik. Nicht alle haben abgewartet, bis ihnen gekündigt wurde.
Wenn es damals um die Verteidigung ihrer verfolgten Kollegen ging, haben deutsche Wissenschaftler meist die Leistungen der Betroffenen hervorgehoben, statt die Maßnahmen der Nazis als Unrecht zu kritisieren. Wie war die Einstellung in der KWG zur NS-»Judenpolitik«?
rürup: Die Gesellschaft hat Anträge gestellt, gegen bestimmte »Beurlaubungen« protestiert und in einigen Fällen sogar Erfolg gehabt. Das »Berufsbeamtentumgesetz« vom April 1933 hat die KWG aber nicht in Frage gestellt, konnte dies bei einem Gesetz, was analog der damaligen Praktiken verabschiedet worden war, auch nicht so leicht. Die Gesellschaft wäre aufs Spiel gesetzt worden, wenn man sich nicht auf die Kollaboration eingelassen hätte, mit der Hoffnung, Gesetze abzumildern.
Die Rolle von Max Planck als Präsident der KGW in der 30er Jahren ist unter Historikern nicht ganz unumstritten ...
rürup: Es behauptet niemand, Planck sei ein Anhänger oder Sympathisant der Nazis gewesen. Er war eine große Autorität, hatte eine nicht ganz unberechtigte Befürchtung, die Unabhängigkeit der KWG könne während des Nazi-Regimes nicht gewährleistet werden. Seine Prioritätensetzung war, die KWG zu erhalten und inhaltlich möglichst frei zu halten von neuen Machthabern. Den Direktoren wurde nicht von außen vorgeschlagen, was sie zu forschen hatten. Objektiv aber haben sie das System in der Vorbereitung des Krieges gestützt.
Wie war das Verhältnis der aus der KWG vertriebenen Wissenschaftler zu deren Nachfolgeorganisation? Und wie war es umgekehrt?
rürup: Bei den meisten gab es ein relativ positives Verhältnis. Es gab einige Personen an der Spitze, zu denen man starkes Vertrauen hatte, wie Otto Hahn, der als untadelig galt. Was die meisten deutschen Wissenschaftler betrifft: Die hatten im Grunde die Dimension dessen, was geschehen war, nicht begriffen. Eine Reflektion hat nicht stattgefunden.
Unlängst ist Michael Schürings Buch »Minervas verstoßene Kinder« (Wallstein Verlag) über die vertriebenen Wissenschaftler und die verdrängte Vergangenheit der Gesellschaft erschienen, eine Arbeit im Auftrag der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft unter Ihrem Vorsitz. Reichlich spät, oder?
rürup: Das alles ist sehr spät begonnen worden – nach mehr als 50 Jahren. Trotzdem kann man es positiv sehen, denn es gibt mittlerweile einen ganz anderen Forschungsstand als kurz nach dem Krieg.