von Constantin
Graf Hoensbroech
Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden, sagt Avichai Apel. Provoziert der Dortmunder Rabbi- ner oder spricht er aus tiefer Erkenntnis? Nein, er zitiert einen Schabbat-Segen: »Gelobt seist Du, Ewiger, unser G’tt, der unterscheidet (...) zwischen Jisrael und den Völkern (...).« Was aber macht den Unterschied aus, will Rabbiner Avichai Apel wissen und spitzt die Frage zu: »Macht der Unterschied Spaß?« Zumindest werde es nie langweilig, merkt eine junge Frau an, und ein Student bezeichnet seine persönlichen Erfahrungen mit dieser Unterschiedlichkeit als »sehr abwechslungsreich«. Ein anderer Seminarteilnehmer mutmaßt: »Warum wollen so viele Menschen zum Judentum übertreten, wenn es nicht Spaß machen würde?«, während eine junge Frau den Segensspruch mit den Worten interpretiert: »G’tt fordert von uns mehr.«
Angeregt diskutieren die Studenten und jungen Leute an diesem Sonntag in der Judaica der Kölner Synagogen-Ge- meinde. Rabbiner Apel lässt der Debatte freien Lauf, geht sehr genau mit seinem Kölner Kollegen Rabbiner Jaron Engel- mayer auf die vielen Fragen ein und führt den lebhaften Gesprächsverlauf doch immer wieder auf den Kerngedanken des dreitägigen Seminars zurück: Worin be- steht das Tikun Olam, das jüdische Kon- zept der Weltverbesserung? In unterschiedlicher Weise debattieren die 18- bis 30-Jährigen über dieses »so große Wort«, wie es eine Teilnehmerin fast ehrfürchtig charakterisiert. Etwa am Beispiel der Wirtschaftskrise, die natürlich aufgrund des etwas provokant gewählten Seminartitels »Money makes the world go round« eine Rolle spielt. Etwa sehr praxisnah am Beispiel von drei fiktiven Wahlprogrammen, die die Rabbiner Engelmayer, Apel sowie der Düsseldorfer Julien-Chaim Soussan eigens für diese Diskussion entworfen haben. Zum Abschluss der Podiumsdiskussion wird abgestimmt, welches Programm am tragfähigsten ist.
Oder etwa in der Analyse und Reflexion von Mizwot (Geboten) oder Texten aus der Tora. »Mizwot und Tora zu folgen, sind das entscheidende Tikun Olam bei den Juden, es ist die Voraussetzung für die Zugehörig- keit zum jüdischen Volk«, macht Rabbiner Apel deutlich. Es seien dies zwar auch Angebote an Nichtjuden, aber ein Auftrag zur Mission sei damit nicht verbunden. Rabbiner Engelmayer konkretisiert: »Dahinter steht kein alleiniger Wahrheitsanspruch, sondern die Toleranz gegenüber anderen Wegen.« Am Ende der Tage übersetzen viele Teilnehmer Tikun Olam mit »Weltvervollkommnung«.
Die junge Rechtsanwältin Sophie Mah- lo verweist auf das Beispiel Limmud-Festival. »Es hilft, nicht nur für sich etwas zu tun, sondern über die Einhaltung der Gebote das Bewusstsein für andere zu stärken.« Was kann der Einzelne tun, um seine Welt, seine Umwelt und Alltag zu verbessern? Mahlo gehört zu den deutschen Initiatoren des aus England stammenden Limmud-Projektes, bei dem sich Juden aller politischen und religiösen Ausrichtungen treffen und die unterschiedlichsten Themen in Kommunikationsforen aufgefächert besprechen. (vgl. Jüdische Allgemeine vom 12. Februar). Auch das Seminar in Köln lässt sich daher sicher als ein lebendiger, sehr persönlicher Beitrag zur Weltvervollkommnung werten.
In Kooperation mit dem American Jewish Joint Distribution Committee hatte die Orthodoxe Rabbinerkonferenz das Seminar ausgerichtet. Am vergangenen Wochende nahmen rund 70 junge Juden teil. Neben den inhaltlichen Diskussionen zu Themen aus jüdischer Religion und Kultur steht bei solchen Veranstaltungen vor allem das religiöse Gemeinschaftserlebnis, die Feier des Schabbat mit Kiddusch, Liedern, Segenssprüchen im Mittelpunkt. »Es geht um das Erleben und Lernen jüdischer Traditionen«, sagt Jaron Engelmayer und ergänzt als ein Ziel: »Die jungen Menschen sollen in ihrer jüdischen Identität für ihren Alltag gestärkt werden.«
Mit Gleichaltrigen zusammenzukommen, sich auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen, sind etwa für Yuri Babich wesentliche Elemente des Seminars. »Und die Möglichkeit, mit drei spannenden Rabbinern einmal in sehr eigener Weise in Kontakt zu kommen«, sagt der 27 Jahre alte Informatiker aus Aachen. Natascha Vronska ist besonders von Form und Inhalt des Seminars mit seiner Mischung aus gemeinsam erlebter Religion und der Arbeit in Gruppen sowie in großer Runde angetan. »Auch wenn ich nicht auf alle meine Fragen eine befriedigende Antwort bekommen habe, so war es doch wichtig, dass ich sie stellen und auch die Meinungen anderer hören konnte.« Dem persönlichen Fazit der Studentin für Jüdische Sozialwissenschaften aus Frankfurt am Main würden sich wohl die meisten Teilnehmer anschließen: »Man kann eben nicht nur so durchs Leben gehen, sondern muss bewusst leben. Und nach solchen Tagen nimmt man sehr viel Kraft und Energie für den Alltag mit.«