von Pierre Heumann
Jerusalem, die vereinigte Stadt, in der Juden und Araber mehr nebeneinander als miteinander leben, sorgt wieder einmal für Ärger. Die Diskussion über die Teilung hat zwar erst das Stadium des Abtastens erreicht, und der Begriff »Teilung« muss erst noch definiert werden. Aber es genügt, dass Premier Ehud Olmert im Vorfeld des Gipfeltreffens von Annapolis laut über die Zukunft Jerusalems nachdenkt – und schon ist seine Koalition gefährdet. Zumal Olmerts Weggefährten von ihm anderes gewohnt sind. Vor sieben Jahren führte der damalige Bürgermeister einen Massenprotest mit 350.000 Bürgern gegen die Teilung Jerusalems an.
Heute sieht er das differenzierter. War es denn wirklich nötig, wandte er sich vor Kurzem an die Knesset, das Flüchtlingslager Schuafat, Sawakra, Walaje und andere Dörfer zum Stadtgebiet hinzuzufügen und sie als Teile Jerusalems zu definieren? Wobei er die Antwort auf diese Frage gleich selbst gab. Die arabischen Stadtteile sind ihm 40 Jahre nach der Annexion noch so fremd, dass er offensichtlich Mühe hat, deren Namen auf Anhieb richtig auszusprechen. Das Wort »Sawakra« zum Beispiel las er nur zögernd, beinahe stotternd vom Blatt ab, als wäre er zum ersten Mal mit dem Dorf konfrontiert, für das er doch während vieler Jahre verantwortlich war.
Olmert hat bereits seinen Vizepremier Haim Ramon vorgeschickt. Der soll die Reaktionen der Bürger auf Teilungs-Ideen testen. Dabei geht Ramon um einiges weiter als Olmert. Er schlägt vor, die arabischen Viertel ganz den Palästinensern zu übergeben. Im Gegenzug müssten diese, die westliche Welt und die internationale Gemeinschaft die israelische Annexion der jüdischen Viertel anerkennen, so Ramon. Er übernimmt dabei den Plan des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Der hatte vorgesehen, die Altstadt und den Tempelberg zusammen mit Teilen, die von Arabern bewohnt sind, unter palästinensische Kontrolle zu stellen. Dort sollten die Palästinenser ihre Hauptstadt errichten.
Doch nichts da: Jerusalem spaltet Israel, noch bevor offiziell darüber verhandelt wird. Zwar kommen neuerdings auch aus der ganz rechten Ecke Anregungen zum Thema Jerusalem, das dort bis vor Kurzem tabu war. Avigdor Lieberman, der sonst kein Freund territorialer Kompromisse ist, zeigt sich plötzlich zum Gespräch über Jerusalem bereit. Sein Motiv entspringt freilich nicht dem Wunsch nach Frieden, sondern zynischem Egoismus. Der Minister für strategische Planung möchte die arabischen »Problembezirke« im Großraum Jerusalem loswerden. Populist, der er ist, formuliert Lieberman das so: »Warum sollen wir Flüchtlingslager subventionieren?«
Je näher der Friedensgipfel von Annapolis rückt, desto lauter rumort es in der Koalition. Nicht nur der Likud, die Oppositionspartei von Benjamin Netanjahu, will Zugeständnisse an die Palästinenser verhindern. Die beiden Koalitionspartner Schas und Israel Beitenu drohen mit dem Regierungsaustritt, falls Schlüsselthemen wie Jerusalem diskutiert werden. Sollten sie ihre Drohung wahr machen, verlöre Olmert die Mehrheit in der Knesset.
Unklar ist zudem, wie der nach wie vor unpopuläre Premier dem Volk einen Verzicht auf Teile Jerusalems schmackhaft machen will. Ein Drittel der jüdischen Israelis, das ergab eine Umfrage, hätte zwar nichts gegen Veränderungen des Status quo der Heiligen Stadt einzuwenden. Doch eine Mehrheit spricht sich gegen eine Veränderung der gegenwärtigen Situation in Jerusalem aus. 68 Prozent der Befragten wollen nichts davon wissen, Jerusalems arabische Stadtteile an die Palästinensische Autonomiebehörde zu übergeben.
So weit wird es wohl kaum kommen. Die Kluft zwischen den israelischen Vorstellungen über die Zukunft Jerusalems und den palästinensischen Forderungen bleibt so groß, dass eine Überbrückung der Differenzen wenig wahrscheinlich ist. Denn während Olmerts Koalition bereits bei kleinen Konzessionen auseinanderzufallen droht, bestehen selbst gemäßigte Palästinenser auf der Maximalforderung: Sie wollen die Souveränität über alle arabischen Gebiete, die nach dem Sechstagekrieg annektiert wurden. Dazu gehöre auch die Klagemauer, die unter muslimische Kontrolle kommen müsse, verlangt ein Berater des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas: »Das ist Teil des islamischen Erbes, das wir nicht aufgeben können.«
Doch selbst wenn im amerikanischen Annapolis ein Beschluss gefasst werden sollte: Die Notbremse ist bereits installiert. 61 Knessetmitglieder haben sich in einer schriftlichen Erklärung gegen Kompromisse in Sachen Jerusalem ausgesprochen. Olmert sind bei der Lösung dieser Frage, die für die israelisch-palästinensische Annäherung so wichtig ist, die Hände gebunden. Der innere Frieden ist bewahrt – der äußere bleibt außer Reichweite.