von Wladimir Struminski
Har Choma kann man nicht verfehlen. Von der Hebron-Straße geht es – das Schild ist nicht zu übersehen – nach links. Zwei Kilometer auf der Stadtchaussee und man befindet sich in einem Neubauviertel, wie es für Jerusalem typischer nicht sein kann. Das Gros der Bausubstanz besteht aus großen Betonklötzen. Der ganze Berghang ist mit ihnen bedeckt. Es gibt auch kleinere Häuser, zweistöckig, mit Terrassen und einem gewissen Abstand zum Nachbarhaus, doch sind sie die Ausnahme. Grünflächen oder Einkaufszentren wird man vergeblich suchen. Die Bäumchen, die die Straßen säumen, sind klein, verschwinden nahezu in ihren metallenen Schutzgerüsten wie hinter Gittern. Irgendwann drängt sich dem Betrachter das Bild einer riesigen Trutzburg auf.
Eine Trutzburg ist das nach einer alten jordanischen Befestigung benannte Har Choma – zu Deutsch: Berg der Mauer – aber nicht nur in architektonischem Sinne. Der heute nach Angaben des Wohnungsbauministeriums von 15.000 Menschen be-
wohnte Stadtteil wurde international zum Sinnbild israelischer Siedlungstätigkeit und Angelpunkt einer weltpolitischen Debatte über die Zukunft der Stadt.
Als die israelische Bodenverwaltung jüngst den Bau von 307 neuen Wohnungen in Har Choma ausschrieb, geriet keine Geringere als die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice in Rage. Die Bautätigkeit in Har Choma, so Rice, schaffe »kein Vertrauen« in den Friedensprozess. Mehr als das: Har Choma sei »eine Siedlung«. Im Klartext: Da Israel sich im Rahmen der Ende 2007 angelaufenen Friedensverhandlungen mit der Palästinen-
sischen Nationalbehörde zu einem Baustopp im Westjordanland verpflichtet ha-
be, müsse die Arbeit auch in Har Choma ruhen.
In Israel wurde diese Forderung als ein Verstoß gegen die bisherigen Spielregeln empfunden. Nach diesen gehören die nach dem Sechstagekrieg annektierten Munizipalflächen Ostjerusalems nämlich nicht zur Westbank, sondern zu Israels souveränem Staatsgebiet. Deshalb hat Ministerpräsident Ehud Olmert zwar ein Bauverbot für alle israelischen Siedlungen jen-
seits der Stadtgrenzen Jerusalems verhängt. So etwa wurde in Givat Zeew, nur wenige Minuten von der Hauptstadt entfernt, der Bau eines neuen Wohnviertels in den vergangenen Wochen gestoppt, ob-
wohl für die Wohnungen schon Kaufverträge unterzeichnet worden sind. Har Choma aber liegt, obwohl nur wenige Kilometer vom palästinensischen Bethlehem ent-
fernt, innerhalb der Stadtgrenzen Jerusalems. »Deshalb«, belehrte Wohnungsbauminister und Olmert-Vertraute Seew Boim, die amerikanische Außenministerin, »darf hier genauso gebaut werden, wie überall in Israel gebaut werden darf«. Es gehe, so Boim, nicht an, einen Baustopp in Jerusalem zur Bedingung für den Friedensprozess zu machen. Auf dem Spiel steht mehr als Har Choma. Insgesamt plant die Stadtverwaltung die Errichtung von 10.000 weiteren Wohnungen in jüdischen Wohnvierteln jenseits der alten Grenze. Damit wurde der »Berg der Mauer« zur Probe aufs Exempel: Fällt Israel hier um, gerät das ganze grandiose Bauprogramm in Frage.
So wird trotz amerikanischer Kritik und palästinensischer Proteste fleißig weitergebaut. Nachdem die 1997 in An-
griff genommene erste Bauphase, Har Choma Alef, nahezu fertiggebaut wurde, konzentrieren sich die Arbeiten auf den zweiten Bauabschnitt, Har Choma Bet. Hier brummen die Baumaschinen mit voller Kraft. Baukräne ragen in den winterlichen Himmel. An dem kalten Nachmittag hebt ein Gabelstapler Isolierblöcke von der Ladefläche eines Lkw. Die im Eiltempo arbeitenden Bautrupps legen allenfalls dann eine Pause ein, wenn ein Regenschauer sie dazu zwingt. Die Wohnprojekte werden unter klangvollen Namen vermarktet: »Parkaussicht«, »Eurolandschaf-
ten« oder »Holland-Dorf«. Die Verkaufsbüros der Bauunternehmen drängen sich dicht aneinander. Am vergangenen Freitag gab das israelische Bodenverwaltungsamt die Sieger einer weiteren Ausschreibung für 307 Wohneinheiten bekannt. »Bau-
stopp?«, heißt es in der Marketingabteilung der Baufirma BeEmuna, »alle Firmen arbeiten weiter!«
Jedenfalls vorerst. »Wir wissen noch immer nicht, was die Regierung wirklich vorhat«, klagt Herzl Jecheskel, Vorsitzender des Einwohnerrates von Har Choma. Er fürchtet, dass ein Teil des neuen Stadtviertels trotz offizieller Beteuerungen auf dem Reißbrett bleibt. Das könnte vor allem die dritte und letzte Bauphase, Har Choma Gimmel, betreffen, die sich erst im Planungsstadium befindet. »Weil die Leute Angst vor einem Baustopp haben, gehen die Preise nach oben«, weiß Jecheskel. Dass aber bedeutet, dass viele Interessenten, die sich auf günstigen Wohnungskauf gefreut hatten, passen müssen.
»Ich hoffe«, sagt Rivka, eine Mutter, die vor zwei Jahren nach Har Choma gekommen ist, »dass sie wenigstens die Infrastruktur ausbauen. Mit drei Kindern in so einer Steinwüste ist es nicht leicht. Es gibt hier für sie nichts zu tun.« Andere sehen den drohenden Baustopp nicht nur unter pragmatischen Gesichtspunkten. »Ich bin nicht nur wegen billiger Wohnungen hierher gezogen«, sagt David. »Har Choma stellt si- cher, dass dieser Teil Jerusalems nicht an die Araber zurückgegeben wird.« Diese Aufgabe nimmt der Träger einer gehäkelten Kippa, die ihn als Nationalreligiösen ausweist – zu ihnen gehört rund die Hälfte aller Bewohner des Viertels –, ernst. Wie es sich in einer Trutzburg gehört.