Lissabon 1497: Soldaten treiben eine Menschenmenge über den Platz, schlagen auf sie ein, stoßen mit Lanzen und Schwertern, treiben sie in eine Kirche. »Was haben sie vor«, flüstert ein Mädchen, »wollen sie uns töten?« Der Vater schüttelt den Kopf. »Nein, schlimmer: Sie wollen uns taufen!« Vor dem Hintergrund der gewaltsamen Zwangskonversionen auf der iberischen Halbinsel beginnt Peter Pranges neuer Roman Die Gottessucherin. Der in Tübingen lebende Bestsellerautor hat sich in den vergangenen Jahren mit Historienromanen einen Namen gemacht. Zu den bekanntes-ten zählen Die Rebellin, Die Philosophin, Die Principessa und Der letzte Harem. Immer sind Frauen die Haupthelden. In Pranges jüngstem Roman geht es erstmals um das Schicksal einer Jüdin: Gracia Mendes, eine der bedeutendsten Frauen der frühen Neuzeit. Sie hat wirklich gelebt, doch ist nur wenig über sie bekannt. Schon in jungen Jahren verwitwet, führte sie ein international verzweigtes Handelshaus. Als eine der reichsten Frauen der Welt bot sie Königen und Päpsten die Stirn. Von ihren Zeitgenossen als »neue Esther« gefeiert, rettete sie Tausende zwangsgetaufte Juden aus Portugal, indem sie ihnen zur Flucht nach Antwerpen, Venedig und Konstantinopel verhalf. Sie selbst musste gegen ihren Willen als Conversa leben, eine Scheinchristin, die trotz des ihr abgepress-ten Bekenntnisses der Religion ihrer Väter treu blieb.
All das erzählt Prange ausschweifend und lustvoll in einem üppigen Roman. Der 1955 geborene Autor ist ein Meiser seines Fachs. Er versteht es, historische Ereignisse anhand menschlicher Schicksale verständlich zu machen und die Fakten mit Gefühlen zu verweben. Über der gesamten Geschichte schwebt wie ein Fluch eine Tat aus Gracias früher Jugend: Ihr Vater und die jüdische Gemeinde haben beschlossen, dass sie Francisco Mendes’ Frau werden soll. »Ich will diesen Mann nicht heiraten«, schreit sie. »Ich verachte ihn! Außerdem ist er doppelt so alt wie ich!« Doch es hilft nichts, die Ehe wird geschlossen. Aber Gracia ersinnt eine weibliche List – unter der sie Jahrzehnte lang leiden wird.
Pranges Roman wird trotz seiner 750 Seiten niemals langweilig. Derart groß ist die Spannung, dass der bewanderte Leser über die kleinen Fehler, die dem katholischen Autor in puncto Judentum hier und da unterlaufen, hinwegliest. Würze erhält der Plot vor allem durch Gracias Gegenspieler, den Dominikanerpater Cornelius Scheppering, einen widerlichen Eiferer und Perversling. Gewiss hätten dem Buch hier weniger Details nicht geschadet. Doch ein Lapsus des Autors scheinen diese Einzelheiten nicht zu sein. Prange wird sich gut überlegt haben, wie viel Sex er seinem Buch beimischt. Schließlich ist er in gewisser Weise auch auf diesem Gebiet ein Experte: Der studierte Philosoph hat vor Jahren über »Glanz und Elend der erotischen Libertinage« promoviert. Auch über das Cover mit den riesigen Buchstaben lässt sich streiten. Aber so etwas verlangt wohl das Genre Historienroman. Was dem Buch jedoch kaum gerecht wird, ist sein Titel Die Gottessucherin. Denn Gracia Mendes sucht nicht Gott, sondern es geht ihr darum, in allem, was sie tut, den Willen Gottes zu erfüllen. Peter Prange hat ein viel jüdischeres Buch geschrieben, als der Titel erahnen lässt. Tobias Kühn
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