von Marina Maisel
Zur ersten Veranstaltung der Literaturhandlung nach der Sommerpause hatten sich viele Gäste im Literaturhaus eingefunden. Gastgeberin Rachel Salamander freute sich besonders darüber, dass das neue Buch von André Heller »Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein« die erste Buchpräsentation dieses Herbstes ist. Denn »in der Flut der Neuerscheinungen ist es eines meiner Lieblingsbücher geworden«, so Rachel Salamander.
Der 61-jährige Wiener betritt in einem originellem Sakko die Bühne und gewinnt sein Publikum spielend. Was nicht weiter überrascht, schließlich ist er ein Multimediakünstler von Welt. Bekannt ist André Heller als international erfolgreicher Kulturmanager, dessen Arbeitsfeld Dutzende von Kunstarten umfasst. Von Gartenkunst und Wunderkammern, Zirkus und Varieté, Feuerspektakeln, fliegenden und schwimmenden Skulpturen bis hin zum Vergnügungspark Luna Luna. Aber auch mit Chansons, Filmen, Theaterstücken und Shows hat er sich einen Namen gemacht. Die Landkarte seiner Inszenierungen kennt keine Grenzen. Afrika, China, Indien und Südamerika sind nur einige Stationen seiner Kunst.
Diesmal las der Buchautor André Heller aus seiner im Verlag S. Fischer erschienenen autobiographischen Erzählung »Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein«. Gleich von den ersten Zeilen an wird das Publikum in ein Wechselspiel zwischen Autobiografie und Phantasie eingebunden. »Die Erzählung greift einige Themen und Begebenheiten auf, die meine Kindheit für mich bereithielt. Die Oberhand beim Schreiben hatte allerdings die Phantasie.«, erklärt der Autor im Vorwort. Phantasie ist, wie Rachel Salamander sagt »ein Markenzeichen dieses genialen Mannes«
Paul Silberstein – Hauptfigur und Ich-Erzähler der Geschichte – kommt aus einer vermögenden Familie und wächst in der Nachkriegszeit auf. Der Vater, der selbst ein konvertierter Jude ist, wollte dem Sohn eine richtige katholische Erziehung geben. So landet Paul im Jesuitenkolleg, einer Elite-Zuchtanstalt des katholischen Österreichs. Der Junge leidet dort und flüchtet in ein Fantasieuniversum, in dem er plant »in einem Asbestanzug als erster Mensch in das Innere des Vesuvs hinabzusteigen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu suchen«. Oder indem er sich vornimmt, »Weltmeister im Unsichtbarsein« zu werden. In Welten voller surrealistischer Bilder, in Träumen und Visionen findet Paul seine Rettung. Gleich nach der Lesung tauschten sich zwei Künstler des Wortes und des Witzes, André Heller und Henryk M. Broder, aus und entzündeten im Saal ein funkensprühendes Feuerwerk an Erinnerungen, Geschichten und Anekdoten. Wiens Besonderheiten, die Familiengeschichte Hellers, große Persönlichkeiten der Kulturszene und nicht zuletzt die Buchentstehung waren dabei die Themen.
»Ein unbändigen Respekt vorm Schreiben« hat André Heller und erklärt auch gleich warum. Er, der immer auf »vielen Sektoren und Übungsfelder und Expeditionen unterwegs« war, hatte dort keine starke Konkurrenz, wo er eine Revue inszenierte oder die Skulpturen fliegen ließ. Beim Schreiben jedoch wäre es ganz anders, wenn man sich vorstellt, wie das Buch zwischen all den anderen Büchern in der Buchhandlung liegt. »Wenn man schreibt, dann muss man Todesmut haben«, meint Heller. Auf die Frage von Henryk M. Broder, ob Heller mit Zirkus, Show, Varieté und Feuerschluckereien im Spielzimmer geblieben wäre, antwortet Heller, er sei »ein manischer Verwirklicher«. Und weiter, ganz ernst, dass er sich immer fremdet gefühlt und keine Zugehörigkeit zur ganzen Welt ja nicht einmal zur eigenen Familie gehabt hätte. »Meine erste Art der Zugehörigkeit empfand ich bei meinen Privatheiligen. Zum heiligen Schubert, zum heiligen Matissé habe ich ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt«, so Heller. Er hat nach »unsichtbaren Dingen« gesucht. In Musik, Malerei und Literatur hat er seinen Rhythmus gefunden. Als »kein Freund großer Debatten« verwirklichte Heller seine Welten und unterstreicht: »Das Kleinste, was man tut, ist besser, als das größte, was man geträumt hat.«