Herr Schlesinger, nach den schweren antisemitischen Vorfällen im September 2006 in Altglienicke, als Ihre zweite Mannschaft den Platz verließ (vgl. Jüdische Allgemeine vom 12.10.2006), ist der Antisemitismus im Fußballsport wieder aus den Schlagzeilen. Gibt es ihn nicht mehr?
schlesinger: Nein, das Gegenteil ist richtig. Die Situation hat sich für unsere Fußballmannschaften eher verschlechtert. Es vergeht kaum ein Wochenende, an dem wir nicht verbal beschimpft werden; keine Woche ohne ein antisemitisches Vorkommnis.
Wie sehen die Anfeindungen konkret aus?
schlesinger: Wenn sich unsere A-Jugend in der Kabine umzieht und eine Mannschaft des anderen Vereins schon in die Umkleide möchte, dann hört man zum Beispiel: »Wann sind die Scheißjuden endlich draußen?« Oder: Neulich wurde bei einem Spiel unserer ersten Mannschaft ein gegnerischer Spieler vom Platz gestellt. Statt auf den Schiedsrichter zu schimpfen oder sich über sich selbst zu ärgern, ging der Spieler vom Platz und rief: »Ich ficke diesen Scheißjudenverein.«
Gibt es seit den Vorfällen in Altglienicke so etwas wie eine neue Qualität im Verhalten gegenüber Ihren Fußballmannschaften?
schlesinger: In Altglienicke ging der Antisemitismus von den Zuschauern aus. Häufig beteiligen sich jetzt auch Spieler daran. Aber nie physisch, sondern immer verbal. Mittlerweile scheint es gesellschaftsfähig zu sein, uns zu beleidigen. Es vergeht fast kein Spieltag mehr, an dem nicht ein Spieler von uns antisemitisch beschimpft wird. Derzeit herrscht eine Stimmung gegen uns, die ist nahezu unerträglich.
Wie reagiert der Berliner Fußballverband?
schlesinger: Viel zu milde. Meiner Ansicht nach trägt der Verband sogar eine gewisse Mitschuld an den antisemitischen Tendenzen. Der Berliner Fußballverband ist im Fall Altglienicke nicht konsequent genug gewesen. Er hat die Gelegenheit gehabt, durch massive Sanktionen ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, dass solche Attacken einfach nicht geduldet werden. Das wurde verpasst. So macht sich der Eindruck breit, dass man sich mehr oder weniger ungestraft auf deutschen Fußballplätzen antisemitisch verhalten darf.
Was erwarten Sie vom Verband?
schlesinger: Deutlich schärfere Strafen als nur Punktabzug. Ich erwarte das Sperren von Vereinsfunktionären, die dem antisemitischen Treiben auf ihren Plätzen tatenlos zusehen oder das gar billigend in Kauf nehmen. Oder die dauerhafte Suspendierung einer Mannschaft vom Spielbetrieb.
Sie fühlen sich ungerecht behandelt?
schlesinger: Ja, wir müssen permanent kämpfen, auch außerhalb des Spielfeldes. Alles, was von uns verlangt wird, muss immer sofort geschehen. Alles, was der Verband für uns macht, dauert sehr lange.
Ähnliches ist auch oft von türkischen oder arabischen Klubs zu hören.
schlesinger: Ja, denen geht es genauso. Wir haben engen Kontakt zu dem Fußballklub Türkiyemspor Berlin. Von denen hören wir immer, was denen so passiert. Das ist in deren Fall ausländerfeindlich und rassistisch, in unserem Fall antisemitisch.
Aber der Fußballverband bemüht sich doch, oder?
schlesinger: Ja, das will ich auch nicht leugnen. Es gibt Fortschritte, und der Berliner Fußballverband hat mittlerweile einige Maßnahmen eingeleitet. Die Schiedsrichter werden in Lehrgängen sensibilisiert. Das Rechtswesen wird überarbeitet und die Sportrichter geschult. Nur, das dauert natürlich seine Zeit, bis das alles greift. Dass unsere A-Jugend weiter »Verpisst euch, ihr Juden« zu hören bekommt, wird sich so schnell nicht ändern.
Gibt es bestimmte Plätze, auf denen es besonders schlimm ist?
schlesinger: Nein, das kann man nicht sagen. Antisemitismus kann uns überall treffen und es passiert ja auch überall. Es gibt natürlich Bezirke im Osten Berlins, wo wir nicht so gerne antreten. Aber die letzten Vorfälle haben wir allesamt in West-Berlin erlebt.
Haben Sie Strategien, darauf zu reagieren? Dass Sie zum Beispiel sagen: Bei der dritten Beschimpfung gehen wir vom Platz?
schlesinger: Nein, wir haben keine Strategie. Das hätte keinen Sinn, denn es passiert immer gerade da, wo man nicht damit rechnet. Es hat sich ja auch noch so eine Art intellektueller Antisemitismus dazu entwickelt, abseits des Platzes. Auf Vereins-Homepages zum Beispiel.
Wie reagieren Sie dann auf antisemitische Vorfälle?
schlesinger: Wenn etwas auf dem Platz geschieht, sagen wir es dem Schiedsrichter und nehmen den Weg der Sportgerichtsbarkeit. Die Berliner Schiedsrichter sind ja seit Altglienicke verpflichtet, gemeldete Vorkommnisse in den Spielbericht aufzunehmen.
Es heißt, Antisemitismus sei bei muslimischen Jugendlichen sehr verbreitet. Haben Sie negative Erfahrungen mit arabischen oder türkischen Vereinen gemacht?
schlesinger: Nein, das kann man so nicht sagen. Wenn wir gegen palästinensische Vereine spielen, zum Beispiel gegen Al-Quds, dann geht das meistens sehr ruhig ab. Beide Bevölkerungsgruppen sind sich der Brisanz und ihrer Verantwortung bewusst.
Makkabi versteht sich ja als offener Verein, dem auch Nichtjuden beitreten können. Ist Makkabi auch für muslimische Jugendliche attraktiv?
schlesinger: Nein, die kommen nicht zu uns. Wenn man in einen Verein geht, dann will man dort Leute treffen, die man kennt und mit denen man auf einer Wellenlänge liegt. Das dürfte der Grund für die Abstinenz dieser Bevölkerungsgruppe bei uns sein. Im Männerbereich ist das anders, da spielen seit vielen Jahren auch vereinzelt Muslime, die sich anscheinend bei uns recht wohlfühlen. Einige kamen auch schon wieder zu uns zurück, nachdem sie zwischenzeitlich in anderen Vereinen spielten.
Ihr Verein hat viel auszuhalten. Können Sie sich vorstellen, dass das Konzept, über sportliche Erfolge Diskriminierung zu überwinden, bei Makkabi funktioniert?
schlesinger: Wir spielen jetzt in der Verbandsliga und können vielleicht sogar in die Oberliga aufsteigen. Das wäre eine immense sportliche Anerkennung unserer Arbeit. Ob uns das bei der gesellschaftlichen Anerkennung hilft, weiß ich nicht.
Bestimmt werden sie dann zu hören bekommen: Die reichen Juden haben sich den Erfolg gekauft!
schlesinger: Das ist jetzt schon so. Wenn wir aufsteigen, dann würden wir gegen Hansa Rostock II spielen und Hertha BSC II. Das birgt gewisse Risiken. In unserer Ersten Mannschaft spielen zwar aktuell nur zwei Juden mit. Aber es werden ja alle Spieler als Juden wahrgenommen. Schon deshalb, weil wir den Davidstern auf der Brust haben.
Erwarten Sie sich bei Ihren Aktivitäten mehr Unterstützung von der jüdischen Gemeinde?
schlesinger: In den vergangenen Jahren haben wir uns oft mehr Unterstützung erhofft. Wir sind aber kein Teil der jüdischen Gemeinde, sondern ein unabhängiger Sportverein. Eine kleine finanzielle Unterstützung erhalten wir dennoch von der Gemeinde.
Sie selbst sind nun in die Repräsentantenversammlung der Berliner jüdischen Gemeinde gewählt worden. Wofür werden Sie sich dort einsetzen?
schlesinger: Ich werde mich bemühen, die Beziehungen von Verein und Gemeinde zu verbessern. Vor allem sollen Doppelaktivitäten verhindert werden. Die haben keinen Sinn. Die jüdische Gemeinde hat zum Beispiel ein Jugendzentrum, wo auch Judo und Boxen und anderer Sport angeboten wird. Es reicht doch völlig aus, wenn wir den Sport anbieten.
Zu den wichtigen Aufgaben der Gemeinde gehört auch die Integration der Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion. Wie aktiv ist Makkabi auf diesem Gebiet?
schlesinger: Ganz Makkabi ist ein Integrationsprojekt! In unserer ersten Fußballmannschaft spielen alle Berliner Bevölkerungsgruppen, auch Muslime. In den anderen Mannschaften ist der Anteil der russischen und ukrainischen Zuwanderer sehr hoch.
Sie sagen, dass alle Spieler Repräsentanten des Judentums in Deutschland sind. In antisemitischer Wahrnehmung sind Sie ja auch Repräsentanten des Staates Israel. Stört Sie das?
schlesinger: Letzten Endes leben wir als Juden in der Diaspora für Israel. Dass es Israel gibt, bedeutet, dass wir hier sicher leben können. Was derzeit im Gasastreifen passiert, sehe ich als eine Art Parallele zum TuS Makkabi. Da wird Israel dauernd angegriffen, und wenn es sich mal wehrt, stellt man es an den Pranger.
Wie lange muten Sie sich das alles noch zu?
schlesinger: Wir Verantwortlichen im Verein stellen uns vermehrt diese Frage. Die Zustände verschlechtern sich, aber wir machen weiter. Das ist eine Art Trotzreaktion.
Das Gespräch führten Martin Krauß und Torsten Haselbauer.