von Sophie Neuberg
und Susanne Reuber
Für die Freiheit und für die Kinder – so beschreibt die heute 81jährige Jewgenija Schmuschkewitsch ihren Grund, 1942 freiwillig in die Rote Armee einzutreten, um gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen. »Wir haben gekämpft wie die Männer«, berichtet sie mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Rund eine Million Frauen nahmen als freiwillige Rotarmistinnen am Zweiten Weltkrieg teil, meist als Sanitäterinnen, Krankenschwestern oder Bürokräfte, oder wie Jewgenija Schmuschkewitsch von sich erzählt »in der ersten Li-
nie«. Ihr Einsatz brachte ihr mehrere Orden, doch als Frau und als Jüdin wurde ihre Geschichte nie gewürdigt.
Eine kleine Ausstellung im Centrum Judaicum versucht nun, die Geschichte der jüdischen Rotarmisten ins öffentliche Bewußtsein zu bringen. Mit diesem Projekt geht auch ein Herzenswunsch von Hermann Simon, Direktor der »Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum« in Erfüllung. Seine Mutter, im Krieg in Berlin versteckt, hörte irgendwann 1945 das Gerücht, man habe die Spur eines russischen Panzers gesehen, und das bevor die Rote Armee tatsächlich in Berlin einmarschiert war, erzählte Hermann Simon bei der Ausstellungseröffnung. Sie suchte und fand den Ort, für sie war er »ein Umschlagplatz – ein Platz, an dem Hoffnung in Zuversicht umschlug«. Im April 1945 betrat der erste sowjetische Soldat den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, »und mit jedem Schritt, den er tat, wurde ein Stück des verfluchten Hakenkreuzes zerstört« – so umschreibt Hermann Simon das dankbare Gefühl vieler Juden gegenüber den Rotarmisten. Auch deshalb wollte er den Veteranen eine Stimme geben.
Seine Idee wurde in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsbüro Culture and more aus München, dem Verband der Jüdischen Veteranen der Roten Armee in Berlin und Schülerinnen und Schülern aus vier Berliner Gymnasien verwirklicht. Historiker, Dolmetscher und Schüler führten Interviews mit 13 Veteranen. Daraus entstand die Ausstellung.
Auf elf Tafeln geht es in anschaulichen Texten und Bildern um den Krieg und die jüdischen Soldaten, um den Einsatz von Frauen in der Roten Armee. Auch der Antisemitismus innerhalb der Roten Armee wird beleuchtet sowie die Situation der jüdischen Veteranen in der Sowjetunion nach Kriegsende und nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die interviewten Veteranen werden in kleinen Portraits vorgestellt.
Zum Beispiel Jewgeni Fuks, der seit 1941 in der Roten Armee eingesetzt und bei Kriegsende Feldwebel war, weil ihm als Jude weitere Beförderungen verwehrt worden waren. Nach Kriegsende verbrachte er noch acht Monate in Berlin, bevor er nach Moskau zurückkehrte. Seit 1992 lebt er in Berlin und ist in der Jüdischen Gemeinde aktiv. Oder Lew Wilenski, der sich als 16jähriger freiwillig bei der Roten Armee meldete und 1945 an der Befreiung von Auschwitz beteiligt war. Viele von ihnen wußten, daß sie nicht nur für ihr Vaterland kämpften, »sondern auch um unser Überleben«, so Veteran Janis Ofmanis.
Für die Schülerinnen und Schüler, die an den Interviews teilnahmen, war das Projekt ein prägendes Erlebnis. »Es war wunderbar«, berichtet Mürvet Arik, Schülerin an der Jüdischen Oberschule, von den Interviews mit Jewgenija Schmuschkewitsch. Obwohl sie ihre Geschichte nicht zum ersten Mal erzählte, sei es immer sehr emotional gewesen. »Sie ist manchmal in Tränen ausgebrochen, es war sehr berührend«, bestätigt Sophia Frommel vom Canisius-Kolleg. Es fiel den jungen Leuten schwer, die Zitate auszusuchen, die die verschiedenen Themen am besten kommentieren, und dabei so viel Material ungenutzt zu lassen. Aber auf das Ergebnis sind sie jetzt stolz.
Anläßlich der Ausstellungseröffnung wurde es noch einmal für die Veteranen sehr emotional, als Petr Feldman Lieder aus der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges vortrug. Alle hatten sich ihre Orden an die Brust geheftet und sangen die Lieder über die tapferen Soldaten mit. Lieder, die vom blauen Himmel der Heimat erzählen, von einer Geliebten, die zu Hause wartet, diese Lieder machten damals den jungen Soldaten Mut, durchzuhalten.
Heute leben noch etwa 100 jüdische Veteranen der Roten Armee in Berlin. Die jüngsten sind knapp 80, die ältesten schon über 90 Jahre alt. Sie alle haben »sehr reiche Lebensläufe, die auch in der sowjetischen Erinnerungskultur ins Schweigen gerutscht sind«, sagt Christian Schölzel von Culture and more. In der kleinen Ausstellung, die bis Ende des Jahres zu sehen ist, stehen diese Lebensläufe im Mittelpunkt.
»Zwischen Sowjetstern und Davidstern, Jüdische Veteranen der Roten Armee 1945 und heute in Berlin«, Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28-30, So-Do 10-18 Uhr, Fr 10-14 Uhr