von Olaf Glöckner
Antisemitismus wird in Europa wieder salonfähig, im Osten wie im Westen fast gleichermaßen, dazu quer durch soziale Schichten und politische Lager. Das belegt der gerade erschienene Forschungsband Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa, herausgegeben von Lars Rensmann von der University of Michigan (USA) und Julius Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam. »Besonders unter jüngeren Menschen stoßen judenfeindliche Vorurteile auf Akzeptanz«, erklärte Rensmann bei der Buchvorstellung im Berliner Martin-Gropius- Bau. »Außerdem fällt auf, dass der neue Antisemitismus sich zunehmend zu einem Problem der gesellschaftlichen Mitte entwickelt.« So meinen heute fast 40 Prozent der Europäer, die Juden »sollten aufhören, sich wegen des Holocaust als Opfer zu sehen.« Etwa die Hälfte der Schweizer sieht Israel einen »Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser« führen, und immerhin 39 Prozent der Italiener finden, dass Juden »eine besondere Beziehung zum Geld« besäßen. Und Deutschland? »Der wertkonservative Unternehmer, dessen Geschäfte mit dem Iran florieren, der leidenschaftlich anti-israelische Street-Rapper und der linksdogmatische Ideologe haben überhaupt kein Problem, antijüdische Klischees zu teilen«, meinte Julius Schoeps vor leicht irritiertem Publikum. Ungeachtet pädagogischer und zivilgesellschaftlicher Bemühungen, so der Potsdamer Historiker, seien »der Aufklärung wohl auch hierzulande Grenzen gesetzt.«
Mit Forschern wie Andrei Markovits und David Hirsch sind sich Schoeps und Rensmann einig, dass der Nahostkonflikt das Verhältnis von Nichtjuden und Juden in Europa zwar beeinflusst, keineswegs aber die merkwürdigen Allianzen von Rechtsextremisten, linken Antizionisten, Radikalislamisten und anti-israelischen Intellektuellen erklärt. Die Herausgeber plädieren für mehr transnationale Vergleiche, basierend vor allem auf standardisierten Umfragen, Diskursanalysen und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen. Dafür bietet Feindbild Judentum einen soliden Anfang: Der Band vereint elf Länderstudien und reflektiert die Rolle erfolgreicher rechtsextremer Parteien in der EU. Ein profunder Beitrag von Werner Bergmann (Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin) zeigt darüber hinaus interessante Ergebnisse jüngster Stereotypen- forschung in Frankreich, Schweden und Deutschland. Kein Buch zum Entspannen, aber eine kritische Bestandsaufnahme zur rechten Zeit.
lars rensmann/julius h. schoeps (hrsg.): feindbild judentum.
antisemitismus in europa
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2008, 400 S. , 24,95 €