Die Wahl ist gelaufen, was sagen Sie zum Ergebnis?
sarid: Es ist wie erwartet: Kadima wird mit der Arbeitspartei eine Regierung bilden. Eigentlich nichts Neues, außer vielleicht, daß die Pensionärspartei überraschend viele Mandate bekam.
Kadima ist eine erst vier Monate alte Partei. Vor der schweren Erkrankung Ariel Scharons hat man von ihr behauptet, sie habe nur eine Führungspersönlichkeit, aber kein Programm. Warum wurde sie trotzdem gewählt?
sarid: Weil die Wähler die alten Parteien leid sind. Sie haben etwas Neues gesucht. Nur glaube ich nicht, daß Kadima viel Neues anzubieten hat. Nehmen wir Ehud Olmert: Er ist kein neues Gesicht in der Politik. Er hat mit mir vor 32 Jahren in der Knesset seine politische Karriere begonnen. Er war damals der jüngste in seiner Partei, dem Likud. Ich war der jüngste Abgeordnete der Arbeitspartei. Anfangs arbeiteten wir zusammen, gegen die Korruption in Israel. Das war’s. In den wichtigen und entscheidenden Fragen stimmten wir nicht miteinander überein. Oder nehmen wir Ariel Scharon. In den Monaten, bevor er ins Koma fiel, hatte er zwar begonnen, sich politisch zu wandeln. Keiner kann sagen, was geschehen wäre, wenn er weiterhin im Amt verblieben wäre. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt wußte, in welche Richtung er sich bewegen würde. Ich glaube nicht, daß er einen umfassenden Plan hatte. Ich glaube, es ist nichts Faszinierendes an Kadima. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind heutzutage auch nicht mehr so entscheidend.
Vielleicht nicht deren Programme, aber vielleicht ihre Persönlichkeiten? Scharon war Kadima, Kadima war Scharon.
sarid: Ich glaube, daß Scharons Bedeutung für Kadima überschätzt wurde. Eine Zeit lang machte es den Eindruck, daß Kadima ohne ihn verloren wäre. Aber das traf nicht zu. Politiker haben die Gewohnheit, den Eindruck zu vermitteln, als würden sie Entscheidungen treffen, aber das ist eine Illusion.
Wer entscheidet stattdessen?
sarid: Die Realität. Die entscheidet zum Beispiel auch, daß Israel früher oder später die besetzten Gebiete räumen wird. Denn die Demographie ist ausschlaggebend. Die Bevölkerungsentwicklung schlägt alle anderen Argumente, auch wenn man für die Groß-Israel-
Ideologie ist. Das hat auch Scharon damals verstanden. Einige kapieren das schneller, andere langsamer.
Sie werden dieser Knesset nicht mehr angehören. Nach 32 Jahren verlassen Sie die politische Bühne. Fällt Ihnen das leicht?
sarid: Nein. Politik kann man nicht aufgeben. Politik ist schließlich unser Leben, die Ordnung unserer Prioritäten. Ich habe das tägliche politische Geschehen verlassen ...
... und sich nicht einmal mehr am Wahlkampf von Meretz beteiligt.
sarid: Ich bin natürlich weiterhin der gleiche Mensch mit den gleichen Ansichten. Aber nach der Aufgabe meiner Ämter wäre es falsch, sich in tägliche Dinge einzumischen.
Aber in den Ruhestand haben sie sich nicht begeben.
sarid: Bestimmt nicht. Ich habe mich mit meinem Freund Joschka Fischer darüber unterhalten, nachdem er seine Ämter aufgegeben hatte. Und wir waren uns darin einig, daß es schon fast gefährlich ist, diesen Schritt zu tun. Denn man ist danach sehr beschäftigt, hat vielleicht sogar mehr zu tun als zuvor.
Was machen Sie jetzt?
sarid: Ich bin Kolumnist bei der Tageszeitung Haaretz. Zudem werde ich an einer Universität unterrichten. Ich soll Präsident der Naturschutzgesellschaft in Israel werden. Und erst vor wenigen Wochen habe ich ein Buch veröffentlich, dessen Geschichte vor dem Hintergrund des Holocaust spielt, eine Art Autobiographie. Jetzt habe ich auch noch einen Vertrag mit meinem Verleger unterzeichnet, ein weiteres Buch zu schreiben.
Mit dem ehemaligen Minister, Knesset-
abgeordneten und Vorsitzenden der Meretz-Bewegung sprach Detlef David Kauschke.