von Sabine Brandes
Viktoria Dolburd befindet sich in bester Gesellschaft. Links von ihr wohnt Ariel Scharon, rechts residiert der israelische Staatspräsident. Die Balfourstraße hat einen Namen in Jerusalem. Das Haus verströmt Entspanntheit an diesem Freitagmorgen. So, als ticke die Uhr hier ein wenig langsamer als in der hektischen Hauptstadt vor der Haustür. Innen sind die Decken hoch, die Möbel betagt, die Bourekas zum Frühstück warm und gut. Auf dem Sideboard stehen vier Paar Schabbatleuchter, alle benutzt. Die Bewohnerinnen der Wohngemeinschaft halten sich an den wöchentlichen Feiertag.
Zum Dreier-Gespann der WG gehört auch Dolburd. Sie ist Deutsche. Und Jüdin. Und Israelin. Und Präsidentin. »Ein glücklicher Zufall«, wie sie es nennt. Seit knapp einem Jahr ist sie Vorsitzende des Weltverbandes jüdischer Studenten (World Union of Jewish Students – WUJS), am Ziel einer steilen Karriere innerhalb des Verbandes. Sie habe ohnehin vorgehabt, nach dem Abschluß ihres Studiums in Berlin Alija zu machen, da habe es einfach gepaßt. Als sie das Diplom der Kommunikationsmanagerin in der Tasche hatte, lief gerade die Amtszeit des damaligen Vorsitzenden aus. Dolburd war damals im Präsidium des Europäischen Verbandes und Chefin des Bundesverbandes jüdischer Studenten in Deutschland. Sie ergriff die Chance. Das aber sei ein schwieriger Entscheidungsprozeß gewesen, erinnert sie sich. »Denn mein Vater war dagegen. ›Dein Privatleben kommt zu kurz’, warnte er. Ich habe aber gespürt, daß ich die Kraft habe. Ich brauche einfach Herausforderungen im Leben.«
Gegründet wurde die WUJS 1924, Albert Einstein war ihr erster Präsident. Seit damals ist der Verband stetig gewachsen und hat heute Hunderttausende Mitglieder in 50 Ländern der Erde. Ziel ist die Unterstützung jüdischer Studenten und die Wahrung des spirituellen, sozialen und kulturellen Erbes des Judentums.
Auf den ersten Blick mag die zierliche Frau wirken wie andere Studentinnen in Tel Aviv oder Jerusalem auch. Doch nach ein paar Sätzen spürt man etwas Besonderes. Mit einer gewinnenden Mischung aus Begeisterung und kühlem Sachverstand erzählt sie von ihrer Arbeit und dem neuen Leben im geliebten Israel. Ihre Gestik ist fein, es umgibt sie das gewisse präsidiale Etwas. Für die Einleitung im Flyer des Verbandes wählte sie ein Zitat von Anne Frank: »Wie wundervoll ist es, daß niemand auch nur einen Moment warten muß, um die Welt zu verbessern.«
Daran glaubt Dolburd. Angefangen hat ihre politische Karriere im Jugendzentrum der jüdischen Gemeinde Berlins. Daß sie heute Vorsitzende des jüdischen Weltstudentenverbandes und damit Chefin eines Sechs-Personen-Büros in Jerusalem ist, kommt ihr noch immer manches Mal unwirklich vor. Sie lebt die Verwirklichung ihres Traumes: »Eine bessere Zukunft für Israel und für mich zu schaffen.«
Geboren ist die 25jährige in Moskau, kam 1990 nach Deutschland und verbrachte ihre Jugend in Berlin-Reinickendorf. Ihre Eltern, beide Ärzte, wollten ihren zwei Töchtern ein besseres Leben ermöglichen. Dolburd spricht fünf Sprachen fließend, auch die Sprache der Politik beherrscht sie. »Ich habe kein Problem mehr, frei vor den höchsten Staatsoberhäuptern zu sprechen. Das hier ist eine echte Schule fürs Leben.« Eine, die sie sich selbst ausgesucht hat. Ihre Eltern hatten nach dem gezwungenen Polit-Verständnis der ehemaligen Sowjetunion genug von Volksvertretern und Funktionä- ren und rieten ihrer Tochter von einer politischen Karriere ab. »Aber ich konnte gar nicht anders – ich bin so geboren.«
Heute weiß sie, daß ihre Entscheidung richtig war. Zwar war sie bald ein Teil der deutschen Gesellschaft und genoß das Leben in Berlin, vor allem der Kultur wegen. Doch richtig angekommen war sie nicht. »Ich habe immer gespürt, daß das alles nicht meins ist. Jerusalem ist wirklich mein Zuhause«. Zweifel habe es gegeben, Klar. »Ob ich das alles packe, ohne Eltern umzusiedeln, und in dem anderen Land sofort in den Job mit wahnsinnig viel Arbeit und Verantwortung zu gehen.« Eine große Hilfe und Unterstützung seien die Freunde in aller Welt und ihre Schwester gewesen, die in Modiin lebt. Außerdem hat sie einen ganz persönlichen Berater. Ihren Freund, der in Kanada lebt. Natürlich vermisse sie ihn, doch so eine Fernbeziehung habe durchaus Vorteile: »Niemand beschwert sich, wenn ich mal wie- der zu spät aus dem Büro komme«, sagt sie mit Schmunzeln. Auch er sei im WUJS tätig und könne sich so bestens in ihren Alltag hineinversetzen. Will ihr Freund eine Beziehung mit Zukunft, wird er umziehen müssen. Hierbei macht die junge Frau keine Kompromisse, sie weiß, was sie will. Neben einem Leben auf der politischen Bühne ist das ein Leben in Israel.
Ein Jahr nach Alija und Amtsübernahme haben sich sowohl ihre eigenen als auch die Worte ihres Vaters bewahrheitet: Die Herausforderung ist da, und das Privatleben kommt zu kurz. Dolburd lacht. »Aber es ist einfach wunderbar.«