»Die NS-Symbolik visuell zerstören«
Günter Frankenberg über ein
strittiges Gerichtsurteil
Herr Frankenberg, das Stuttgarter Landgericht hat Anti-Nazi-Symbole als verfassungswidrig bezeichnet, weil sie auch das verbotene Hakenkreuz aufgreifen. (vgl. Seite 2) Ist diese Entscheidung rechtens?
frankenberg: Nein. Das zerbrochene oder verfremdete Hakenkreuz ist gerade kein von Neonazis benutztes Symbol, sondern relativ unzweideutig darauf angelegt, die zu Recht geächtete NS-Symbolik visuell zu zerstören.
Das Verbot des Hakenkreuzes ist an die politische Aussage geknüpft?
frankenberg: Ohne seine Verwendungsgeschichte und insbesondere die unter dem Hakenkreuz begangenen Verbrechen wäre die Veröffentlichung dieses Symbols, wenn nicht belanglos, so jedenfalls nicht strafwürdig. Das ursprüngliche Verbot richtet sich gegen ein Zeichen, das neonazistische Gesinnungsgenossen mobilisieren und Opfer des Nazi-Terrors verhöhnen will.
Das Gericht hat die »Gefahr des Gewöhnungseffektes« als so groß bewertet, »daß die Meinungsfreiheit zurücktreten muß«.
frankenberg: Diese Gefahrenprognose überzeugt nicht, weil sie der symbolisch demonstrierten Kritik die gleiche Wirkkraft zuschreibt wie der Affirmation. Auch verkennt das Gericht, daß das zerbrochene Hakenkreuz einen möglichen Gewöhnungseffekt gerade unterbrechen soll. Es ist empirisch schwer auszuschließen, daß Betrachter eines zerbrochenen Hakenkreuzes sich dadurch zum Nachdenken anregen lassen.
Staatsanwaltschaft und Beklagter wollen nun in die nächsten Instanzen gehen. Kann das Urteil dort Bestand haben?
frankenberg: Ganz sicher nicht. Spätestens das Bundesverfassungsgericht dürfte das Landgericht Stuttgart darüber belehren, daß es von mehreren Auslegungsmöglichkeiten die grundrechtskonforme – nämlich: Kritik an der Verbreitung des Hakenkreuzes in der Bundesrepublik – unterschlagen und sich in eine abwegige Deutung zu Lasten der Meinungsfreiheit verstiegen hat.
Eine Änderung des Strafrechtes, wie von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erwogen, ist also nicht notwendig?
frankenberg: Nein. Auch sonst wird bei unterinstanzlichen Fehlleistungen nicht gleich nach dem Gesetzgeber gerufen. Wir sollten gelassen abwarten, wie der Bundesgerichtshof und gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht entscheiden werden.
Mit dem Staatsrechtler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sprach Harald Neuber.