von Dinah Spritzer
Die Juden Bulgariens und Rumäniens hatten für ihre Neujahrsfeiern etwas ganz besonders Süßes auf dem Teller: Die Bewerbung ihrer Länder um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union war angenommen worden. Zum 1. Januar 2007 werden Rumänien und Bulgarien als jüngste Mitglieder der dann 27 Länder umfassenden EU beitreten. Die beiden neuen Staaten werden die am weitesten im Osten liegenden EU-Länder sein – und die mit Abstand ärmsten.
Der Europäische Jüdische Kongreß (EJC) begrüßt die Entscheidung: »Wir erleben eine positive Entwicklung. Beide Länder haben Fortschritte im Kampf gegen Antisemitismus gemacht, die Rahmenbedingungen für einen besseren Unterricht zum Thema Holocaust wurden geschaffen«, sagt EJC-Präsident Pierre Bes- nainou. Ähnlich äußert sich Erwin Simsensohn, Ausschußmitglied von Fedrom, der jüdischen Dachorganisation Rumäniens: »Die Aufnahme in die EU ist im besten Interesse aller Bürger, einschließlich sämtlicher Minderheiten. Dank der Verhandlungen mit der Europäischen Union hat Rumänien jetzt Gesetze, die rassistische Parteien verbieten.« Rumänien ist Heimat für 15.000 Juden und hat in den vergangenen beiden Jahren eine Reihe von besorgniserregenden antisemitischen Vorfällen erlebt, zum Beispiel wiederholte Schmierereien am Jüdischen Theater in Bukarest. Scharf kritisiert wurde das Land sowohl wegen der Leugnung der Rolle, die die rumänische Regierung im Zweiten Weltkrieg bei der Durchführung des Holocaust spielte, als auch wegen der fehlenden schulischen Aufklärung über die Schoa. Die internationale Entrüstung über diese Zustände zwang Rumänien, auf beiden Feldern verstärkt tätig zu werden. Nach Simsensohns Ansicht kann die Aufnahme in die EU dazu beitragen, daß das Thema auch in Zukunft nicht aus dem Blickfeld gerät. »Es gibt immer noch Holocaustleugner, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielen«, sagt er. »Das Gesetz dagegen existiert zwar, wird aber nicht konsequent durchgesetzt. Mit dem EU-Beitritt könnte sich das ändern.«
Die 7.000 in Bulgarien lebenden Juden fürchten weniger den Antisemitismus als die schwierige wirtschaftliche Situation in ihrem Land. Das durchschnittliche Einkommen beträgt pro Monat 200 US-Dollar, das ist ein Bruchteil des EU-weiten Durchschnittseinkommens. Dennoch macht sich Emil Kahlo, Präsident von Shalom, der größten jüdischen Organisation in Bulgarien, keine großen Sorgen, daß gut ausgebildete Juden in den Westen abwandern werden. »Wir erleben eine negative Alija: Junge Leute, die bereits in Israel waren, kehren nach Bulgarien zurück, weil sich die wirtschaftliche Lage verbessert«, sagt er.
Auch in Rumänien tut sich einiges. Das monatliche Durchschnittseinkommen beträgt zwar nur 404 Dollar, doch es steigt stetig an. »Junge Leute mit Universitätsabschluß finden heute bessere Jobs als früher; multinationale Konzerne haben viele neue Büros in Bukarest eröffnet«, sagt Simsensohn vom Dachverband der Juden. Schwieriger sieht die Situation für ältere Menschen in beiden Ländern aus. Sie blicken ängstlich auf die steigenden Preise. Für ältere Juden gibt es aber einen kleinen finanziellen Trost: Die von der Claims Conference ausbezahlte monatliche Rente für Holocaustüberlebende wird von 2008 an von 167 Dollar auf 219 Dollar angehoben.