Herr Thamm, eine kleine Gruppe junger Männer versetzt eine Millionenstadt in Angst und Schrecken. Hat der Terrorismus eine neue Qualität erreicht?
thamm: Nein, aber der Terrorakt hat deutlich gemacht, dass die globale militante islamistische Bewegung regionale Konflikte wie den zwischen Indien und Pakistan instrumentalisiert. Al-Qaida hat Indien 2007 den »Heiligen Krieg« erklärt und unterstützt damit Dschihad-Terroristen aus Kaschmir. Als ich die Bilder aus Bombay im Fernsehen sah, dachte ich: Aha, jetzt ist der »Heilige Krieg« in Indien angekommen.
Der Subkontinent ist weit weg. Was hat das mit der westlichen Welt zu tun?
thamm: Sehr viel! Die Dschihadisten haben kein säkular-historisches, sondern ein religiös begründetes Geschichtsbild. Dementsprechend teilen sie die Welt und ihre eigenen Feinde in Rechtgläubige und Angehörige des internationalen Unglaubens ein. Zu Letzteren gehören Israelis, Europäer und Amerikaner, aber auch Chinesen, Russen und Inder.
Werden die Anschläge Deutschlands Strategie im Kampf gegen den Terror verändern?
thamm: Nicht wesentlich. Aber die Attentate machen deutlich: Was in Bombay geschah, kann in jeder Millionenstadt passieren, auch wenn die Terrorabwehr gut aufgestellt ist. Im asymmetrisch geführten Dschihad ist das Prinzip der Geiselnahme heute eine eigenständige Waffengattung. Sie wird in paramilitärischen Camps geübt, in denen auch zum Islam konvertierte Deutsche sich zu Kämpfern ausbilden lassen.
Sind wir auf eine Anschlagserie wie in Bombay vorbereitet?
thamm: Die Schutzorgane ja, die Öffentlichkeit nicht. Bisher ist der Kelch an uns vorübergegangen. Aber ob unsere Abwehr so viel besser aufgestellt wäre, wenn es in Berlin zu ei- nem ähnlichen Anschlag käme? Die Nagelprobe würde die real eintretende Situation sein. Doch die möge Gott verhüten.
Was bedeutet die Gewalt von Bombay für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden hierzulande?
thamm: Auf der Feindesliste der Dschihadisten stehen die USA, Israel und jüdische Einrichtungen ganz oben. Daher das gezielte Vorgehen der Terroristen in Bombay. Vor diesem Hintergrund muss auch in Deutschland der Schutz von Synagogen und Gemeindezentren weiterhin höchste Priorität haben.
Mit dem Berliner Terrorismusexperten sprach Tobias Kühn.