Von Ochsentour spricht man in der Politik, wenn ein Parteimitglied Schwerstarbeit verrichtet, um sich für höhere Ämter zu empfehlen. Die Karriere verläuft nicht selten vom Plakatkleben über Kärrnerarbeit in Orts- und Kreisverbänden, bis sich der Politiker irgendwann einmal der Wahl in den Landtag stellen kann. Viel später ist vielleicht ein Bundestagsmandat drin.
Auch wer Präsident oder Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland werden will, hat zunächst einige Vorleistungen zu erbringen.
Die erste Voraussetzung für einen Kandidaten ist: Er muss ein wie auch immer geartetes Mandat in einer jüdischen Gemeinde haben. Dann gibt es zwei Wege, um der Wahl zum obersten Repräsentanten der Juden näherzukommen. Entweder, er gehört dem Vorstand einer Gemeinde an und wird vom Landesverband als Delegierter zur einmal im Jahr tagenden Ratsversammlung entsandt. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, Mitglied des sogenannten Direktoriums des Zentralrats zu werden.
Dieser Verwaltungs- und Aufsichtsrat kontrolliert das Präsidium, die Exekutive des Zentralrats, bei seiner Arbeit. Die Direktoriumsmitglieder werden von ihren Landesverbänden für zwei Jahre in dieses Amt gewählt. Hier nehmen sie verschiedene Aufgaben wahr, widmen sich der Kultur, der Jugend, der Verwaltung, den Finanzen, sozialen und juristischen Belan- gen. Sie sind sozusagen die Vorarbeiter fürs Präsidium. Ist der Kandidat also entweder Direktoriumsmitglied oder Gesandter bei der jährlichen Ratsversammlung, gehört er schon zu dem auserwählten Kreis von rund 100 Personen, die potenziell Präsident des Zentralrats werden können.
Dazwischen steht aber noch die Hürde, ins Präsidium gewählt zu werden. Das oberste Repräsentationsgremium hat neun Mitglieder, von denen sechs aus den Reihen des Direktoriums und drei aus der Ratsversammlung gewählt werden. Hat der Kandidat auch diesen Sprung genommen, muss er nur noch gewählt werden.
Alle vier Jahre bestimmen die neun Mitglieder des Präsidiums aus ihren Reihen den Präsidenten oder die Präsidentin und die zwei Stellvertreter beziehungsweise Vizepräsidenten.
Eine wahre Ochsentour, denn bis der Bewerber Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, muss er durch seine Arbeit viele Menschen davon überzeugen, dass er die Interessen aller Juden in Deutschland in ihrem Sinne gut vertritt. Die nächste Wahl steht im Mai nächsten Jahres an. Heide Sobotka
Wahl