»Die Modernisierung hat wenig gebracht«
Andreas Nachama über die Aufregungen um die Papstrede
Herr Nachama, der Papst hat sich nach heftigen Protesten von Muslimen für die Mißverständnisse entschuldigt, die sein Vortrag hervorgerufen hat. Zu Recht?
nachama: Er stellte ja nur klar, daß er ein Zitat benutzte, das nicht seine eigene Meinung wiedergibt. Darin ging es um die Frage der Missionierung durch Gewalt. Mohammed lehnte sie nur ab, als er noch nicht mächtig war. Der Papst hingegen betonte die Gewaltlosigkeit des historischen Jesus, an die die Kirche des 20. Jahrhunderts wieder anknüpfte. Darüber kann man als Historiker natürlich lange diskutieren.
Viele Muslime sehen in der Rede einen Angriff auf den Islam. Worum dreht sich die Debatte wirklich?
nachama: Um eine theologische Auseinandersetzung, die alle Religionen seit der Französischen Revolution führen müssen: Die Frage nach der Gleichheit vor dem Gesetz, die zum Credo aller modernen Gesellschaften wurde. Religiöse Gesellschaften, auch die jüdischen, kümmert das wenig. Frauen müssen im orthodoxen jüdischen Gottesdienst hinter einem Vorhang verschwinden. Manche muslimische Gruppen finden, daß eine Ehe den Männern das Recht gäbe, über ihre Frauen wie Eigentum zu verfügen.
Trotzdem fiel dem Judentum die Anpassung an die Moderne recht leicht, oder?
nachama: Extern schon, nicht intern. Orthodoxe Gruppierungen lassen Frauen nicht zu gleichen religiösen Handlungen zu. Aber ernstzunehmende Konflikte gibt es nicht. Das orthodoxe Judentum ist doch eher zur Folklore geworden.
Könnte das Judentum als Vorbild für den Islam dienen?
nachama: Dazu ist die Modernisierung der islamisch geprägten Gesellschaften nicht weit genug gediehen.
Aber zu einer Modernisierung gehörte es doch, die Orthodoxie gewissermaßen zur Folklore werden zu lassen. Genau dagegen wehrt sich der radikale Islam.
Die Modernisierung hat in weiten Teilen der islamisch geprägten Dritten Welt nichts gebracht. Außer, daß den Menschen dort das einzige, was sie noch besaßen, auch noch genommen werden soll: die Tradition.
Mit dem Rabbiner und Historiker sprach Sylke Tempel.