Mein Vater sagte mir einmal leicht vorwurfsvoll, dass ein Kind bis zu seiner Volljährigkeit die Eltern eine halbe Million Euro kostet. Kleider, Essen, Schule, Versicherung. Auf der Einnahmeseite hingegen sieht es düster aus. Kinderarbeit ist verpönt und Geldgeschenke der Großmütter dürfen nicht angetastet werden.
Früher dachte ich, eine halbe Million ist ein bisschen übertrieben. Nicht jedes Kind ist Stammkunde beim Zahnarzt und geht in teure Privatschulen. Heute denke ich anders. Die halbe Million ist für mich mittlerweile ein Richtwert geworden. Für den Meinungswandel verantwortlich ist der Kiddusch.
Und ich will jetzt nicht amüsant darüber schreiben, wie ach so teuer kleine Sandwichbrötchen sein können. Nein, ich will darüber fluchen. Unser zweites Kind ist unterwegs und meine Frau und ich denken unentwegt an den Kiddusch, den wir für unsere Gemeinde sponsern müssen. Himmel! Ich bin Lehrer in einer jüdischen Grundschule. Sämtliche Kinder, von der ersten bis zur sechsten Klasse, kommen außerdem zu mir in den Sportunterricht. Das heißt, sämtliche Kin-
der, von der ersten bis zur sechsten Primarklasse, kommen zu uns dann in die Wohnung und wollen fressen. Aber nicht nur sie, auch die Eltern werden erscheinen. Der Rabbiner, die Kollegen, Freunde, Verwandte und mit wem man sonst mehr als zwei Sätze gesprochen hat. Meine Frau rechnet mit 500 Gästen, ich mit 600 Besuchern. Jeder Gast verschlingt etwa vier Brötchen (Lachs, Thunfisch, Eier) und trinkt drei Deziliter Saft. Über den Daumen gepeilt belaufen sich die Kiddusch-Kosten auf 2.000 Euro.
Dabei rette ich diese Menschen nicht vor einer Hungersnot. Sie kommen nicht ausgelaugt zu mir und bitten um ein Stück Brot. Nein, die Karawane zieht nach dem Schmaus bei mir weiter. Entweder nach Hause oder zum nächsten Kiddusch.
Was bringt also ein Kiddusch? Was bringt ein Blinddarm? Kommen die teuren Gäste wenigstens um mich zu segnen? Wird durch einen hundertfach ausgesprochenen Segen alles Geld wieder reingeholt? Nein, einem dahingehusteten »Masel Tov« folgt gleich die Frage: »Wo ist die Toilette?« Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe bei meiner Tochter auch schon einen Kiddusch veranstaltet. Damals war ich aber noch nicht Turnlehrer.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin im Geiste Abrahams aufgezogen worden. Gästen schneide ich immer das erste Stück Brot auf. Hungrige Wegelagerer dürfen bei mir einkehren und sich an meinem Wasser laben. Bettler wimmle ich immer mit zehn Cent ab und unsere alten Kleider landen irgendwann in Rumänien oder Afrika. Ich bin also sicher nicht geizig.
Aber 2.000 Euro? In den USA und Israel gibt es mittlerweile Richtlinien für Barmizwafeiern und Hochzeiten. Rabbiner haben genau aufgelistet, wie viel Gäste kommen dürfen (höchstens 300), wie viel Geld in Blumen und Sänger investiert werden und wie viel Schmuck die Braut bekommen darf. Ich weiß nicht, ob sich die Leute um diese Regeln scheren, erst kürzlich habe ich von einer Barmizwa-Feier auf einem Flugzeugträger ge-hört, aber der Anfang ist gemacht.
Das Gleiche verlange ich für einen Kiddusch! Es sollten genau abgesteckte Grenzen aufgelistet werden, was noch erträglich ist und was nicht. Menschen, die für einen Baby-Kiddusch ein Hotel mieten und zwei Caterer angestellt haben, solche Menschen sollten geächtet werden! Jawohl! Und sie dürfen uns armen Schluckern kein schlechtes Gefühl geben, dass wir unsere Töchter und Jungs nicht genauso lieb haben. Beni Frenkel (Foto: imago)
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