von Miriam Kerrer
Wo auch immer man in Israel tagsüber durch einen Park spaziert, begegnet man Asiatinnen und jungen Frauen aus Osteuropa. In der Regel sind sie nicht allein unterwegs, sondern in Begleitung alter Menschen: Bulgarinnen, Nepalesinnen, Rumä- ninnen, Moldauerinnen, Filipinas – sie alle sind in Israel, um Senioren zu betreuen.
Gina, 32, stammt von den Philippinen. Ihr Alltag als Metapelet, zu Deutsch Pflegerin, besteht aus verschiedenen Aufgaben: Sie wäscht die Seniorin, zieht sie an, kocht für sie und ist als Gefährtin für sie da. Beide sitzen unweit der Stadtbibliothek in Rechovot und genießen die sommerlichen Temperaturen. »Mummy« oder »Safta«, was soviel wie Großmutter auf Hebräisch bedeutet, nennt Gina die alte Dame.
Auch die 44-jährige Moldauerin Veronika ist Metapelet. Schon von Weitem sind sie und die 93 Jahre alte Jewa als »Pflegepaar« zu erkennen. Arm in Arm sitzen sie auf einer Bank am Straßenrand und lassen sich die Sonne auf den Rücken scheinen, die zarte Jewa lehnt ihren Kopf an Veronikas Schulter.
Auch Ali, Rachel, Rosalie und Suer gehen jeden Tag mit ihren Greisen spazieren. Sie sind eine illustre Gruppe von Filipinos und Filipinas, die unter einem Baum sitzen, laut lachen und gemeinsam zu Mittag essen: Weißbrot aus der Tüte, dazu ein wenig Humus. Nur wenige Hundert Meter entfernt scherzt zur selben Stunde Stefania, eine 54-jährige Pflegerin aus Sighisoara (Schäßburg) mit dem 90-jährigen Menachem, der wie sie aus Rumänien stammt.
Solche Szenen spielen sich Tag für Tag überall in Israel ab. Rund 60.000 Metaplot aus dem Ausland sind zurzeit hier tätig. Ohne deren Hilfe wäre in Israel das Altern in Würde kaum mehr vorstellbar. Die Aufgaben der Gastarbeiter sind auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer betagten Klientel abgestimmt: Aus Bulgarien, Russland, Polen und Rumänien stammende Juden werden von Hilfskräften aus eben diesen Ländern gepflegt. Alte Menschen, die Englisch sprechen oder aus dem Orient stammen, bekommen einen Pfleger aus Nepal oder von den Philippinen.
Was auf den ersten Blick wie eine Seniorenpastorale aussieht, kann sich aus anderer Perspektive leicht als moderner Menschenhandel entpuppen. Denn das Monats- gehalt vieler Pfleger und Pflegerinnen beträgt 350 bis 420 Euro im Monat. Zwar ist für Kost und Logis gesorgt, aber vom kargen Lohn müssen 3.220 Euro abbezahlt werden, die ihnen die Vermittlungsagenturen im Heimatland abverlangt haben. »Es wird wohl zwei Jahre dauern, bis ich alles abgestottert habe«, meint der 33-jährige Ali. Er musste sogar eine höhere Vermittlungsgebühr aufbringen, da er als männlicher Pfleger als schwer vermittelbar gilt. Aber mit einer jährlichen Gehaltserhöhung von 30 Euro tröstet er sich lakonisch darüber hinweg.
Hannah Sohar ist Vorsitzende der nichtstaatlichen Arbeiterorganisation »Kav La’Oved«, die sich den Schutz der Rechte benachteiligter Arbeitnehmer in Israel zum Ziel gesetzt hat. Sohar kennt die Probleme der Gastarbeiter, ihren niedrigen Lohn und die hohen Vermittlungsgebühren. »Die Fremdarbeiter überweisen einen großen Teil an die Familien in ihrem Heimatland, da bleibt unterm Strich nicht viel übrig«, sagt sie. Auch ist sie der Meinung, dass die Vermittlungsgebühr am Fiskus vorbei erhoben und in keiner Rechnung geführt wird. Ihrer Ansicht nach arbeiten die Vermittlungsagenturen und die Abschiebebehörden Hand in Hand: »So wird die Fluktuation erhöht, und die Menschenhändler können mit der Einmalsumme richtig Reibach machen«, so Sohar.
Gina, Mutter von zwei kleinen Kindern, spricht sehr gut Englisch und kam nach Israel, da ihr das monatliche Gehalt einer Gymnasiallehrerin von 130 Euro auf den Philippinen nicht ausreichte. In Israel verdient sie zwar das Vierfache, ist aber seit zweieinhalb Jahren von ihren Kindern getrennt und steht mit ihnen nur per Internet und Telefon in Kontakt. Auch ist die Arbeit nicht einfach. »Zurzeit sind die erwachsenen Kinder meiner ›Safta‹ sehr nett zu mir«, sagt Gina, »aber das ist nicht immer so. Manchmal musste ich ihre Häuser putzen oder tagelang die Enkelkinder mitbetreuen.«
Die Vorsitzende von »Kav La’Oved« kann solche Abweichungen vom Arbeitsvertrag nur bestätigen. Auch hat sie schon davon gehört, dass Pfleger nicht genügend zu essen bekamen oder sexuell belästigt wurden. »Das ist keine Seltenheit.« Hunderte solcher Beschwerden bearbeitet ihre Organisation jeden Monat.
Die quirlige Stefania kann von schlechten Arbeitsbedingungen ebenfalls ein Lied singen, wobei sie mit ihren überdurchschnittlichen 550 Euro sehr zufrieden ist. In einer Vierzimmerwohung wurde ihr ein eigener Raum zugeteilt, was nicht selbstverständlich ist. »Bei meinen ersten Arbeitgebern musste ich zweieinhalb Jahre zusammen mit der Mutter in einem Bett schlafen«, sagt sie. Es gäbe einige gute Familien in Israel, die sich wirklich um ihre Metapelet kümmern. »Aber die meisten machen nur Probleme.«
Die tägliche Arbeitszeit eines Pflegers ist nicht genau definiert, die meisten sind rund um die Uhr im Einsatz, auch nachts. Veronika bekommt bei Jewa jeden Tag zwei Stunden frei und sonntags den ganzen Tag. Das ist nicht selbstverständlich. Hannah Sohar kennt Fälle, in denen Familien ihren Pflegerinnen mehr Lohn bezahlt haben, statt ihnen einen Ruhetag zu gönnen. »Da diese Arbeit sehr erschöpfend ist, hat es sehr bald zu einigen Verschleißerscheinungen geführt.«
Kürzlich sind auch Fälle bekannt geworden, in denen Pfleger ihre alten Schütz- linge misshandelt und geschlagen haben. Die gesamte Branche, die sich auch ohne diesen Vorfall die Anrüchigkeit des modernen Sklavenhandels vorwerfen lassen muss, ist dadurch noch mehr in Verruf geraten, und die Pflegekraftvermittlungsstellen lehnen es ab, mit Journalisten zu sprechen.
Sozialleistungen sind ein schwieriges Thema unter den »Fremdarbeitern«, wie sie in Israel genannt werden. Sie erhalten eine Krankenversicherung und zahlen sogar in die staatliche Nationalversicherung ein. »Die Beiträge sind nicht hoch«, gibt Sohar zu bedenken, »weswegen auch die Leistungen begrenzt sind.« Nur bei Arbeitsunfällen, Arbeitsunfähigkeit und Krankheit erhalten die Nicht-Israelis einen Lohnausgleich. Stefania weiß das und ist deshalb weiterhin in Rumänien sozialversichert. »Dort bekomme ich eine staatliche Rente und bezahle auch noch eine private dazu«, sagt die Rumänin.
Viele Pfleger bleiben nicht länger als vier, fünf Jahre in Israel. Dannach gehen sie in ihre Heimat zurück oder in ein anderes Land. »Nach fünf Jahren kann ich eine unbegrenzte Arbeitserlaubnis bekommen«, sagt die Filipina Suer »Aber ich weiß nicht, ob ich hier so lange arbeiten möchte. Es ist nicht einfach, ältere Leute zu betreuen.«
Die Moldauerin Veronika steht noch am Anfang ihrer »Pflegekarriere«, erst vor einer Woche kam sie ins Land. Wie viel Geld sie verdienen wird, das weiß sie noch nicht. Sie weiß nur, dass sie ein Darlehen von 3.870 Euro zurückzahlen muss, das sie zu Hause aufgenommen hat, um in Israel zu arbeiten.