von Micha Guttmann
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Kaum ein anderes Glaubensbekenntnis der Medienmacher wird so konsequent umgesetzt wie dieses. Vor allem die Boulevardmedien, aber auch seriöse Zeitungen und das Fernsehen bedienen sich lustvoll der Anziehungskraft negativer Meldungen. Diese haben bei Weitem mehr Chancen, veröffentlicht und kommentiert zu werden als positive Nachrichten. Der Leser, der Hörer, der Zuschauer –alle wollen es so, sagen die Experten. Und das scheint den Tatsachen zu entsprechen.
Wir gefallen uns immer mehr in der Rolle skeptischer, oft sogar zynischer Be- obachter, gerade wenn es um jüdisches Leben in Deutschland geht. Es gab zwar nach der Schoa noch nie so viele jüdische Gemeinden und Synagogen in Deutschland wie heute und damit verbunden so viele Möglichkeiten, sich am jüdischen Leben aktiv und je nach Überzeugung zu beteiligen. In der innerjüdischen Diskussion und damit auch in der Berichterstattung hierüber überwiegen aber zumeist die Probleme, die Zuwanderung und Integration in den Gemeinden zwangsläufig mit sich bringen. Dabei können die meisten jüdischen Gemeinden und Verbände ihre Arbeit auf solider finanzieller Grundlage ausüben. Verträge und Vereinbarungen mit dem Staat haben hier Planungssicherheit und Solidität geschaffen. Diesen Aspekt und die damit verbundene Verantwortung sollten die Gemeindevertreter öfter mal bedenken bei ihren durchaus verständlichen Diskussionen über die Verteilung der Finanzmittel. Hier ist es nicht der Staat, der jüdische Arbeit behindert. Es sind vielmehr oft genug die internen, teilweise bösartig geführten Auseinandersetzungen. Auch der Streit zwischen alten und neu gegründeten Gemeinden ist nachvollziehbar, weil es hier um wesentliche Interessen der Beteiligten geht. Er muss aber nicht, wie das oft der Fall ist, mit unfairen Mitteln geführt werden. Und schon gar nicht ist er Ausdruck unüberbrückbarer Zerstrittenheit, die zum Schwarzsehen Anlass gibt.
Im Gegenteil: Die in Deutschland lebenden Juden können stolz sein auf das, was sie bis heute geschaffen haben. Die Gemeinden sind in den vergangenen zehn Jahren erheblich größer und damit auch stärker geworden. Das Gemeindeleben ist heute durch den Zuzug aus Osteuropa so lebendig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und das religiöse Leben hat an Vielfalt gewonnen. Lubawitscher Zentren auf der einen Seite und egalitäre Synagogen des Reformjudentums auf der anderen sind nur ein Beispiel für diese positive Entwicklung, die damit auch jüdisches Wissen und Lernen leichter zugänglich macht. Dies wiederum wird jüdische Identität in Deutschland in den kommenden Jahren wesentlich stärken. Die oft polemischen Diskussionen in den Gemeinden sind also kein Beweis für einen negativen Ist-Zustand der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Und sie sind kein vernünftiger Grund dafür, allgemein pessimistisch in die Zukunft zu sehen, auch und besonders nicht im Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt.
Weder die allgemeine politische Stimmung in Deutschland noch die zahlreichen Kontakte zu Vertretern der Politik und der mitbestimmenden gesellschaftlichen Gruppierungen im Lande geben auch nur den geringsten Anlass zu begründeter Sorge. Selbstverständlich gibt es auch mehr als 60 Jahre nach der Schoa antijüdische, antijüdisch motivierte und antiisraelische Strömungen in Deutschland. Während unsere europäischen Nachbarstaaten mit rechtsradikalen Parteien in Größenordnungen von zwanzig Prozent der Wählerstimmen und mehr zu kämpfen haben, hat jedoch der organisierte Rechtsradikalismus bei uns politisch kaum Einfluss. Alle Wahlen auf Bundes- und Landesebene lassen diese Grup- pierungen auch weiterhin in Außenseiterpositionen. Einzelne Anbiederungen der demokratischen Parteien vor Ort auf Lan- des- oder Kommunalebene ändern daran nichts. Wachsamkeit ist zwar stets geboten (übrigens ein Prinzip der Demokratie auf allen Ebenen), aber Pessimismus ist unbegründet.
Nicht Verdrossenheit ist also angebracht, nicht lustvolles Zweifeln an der Zukunftsfähigkeit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und der deutschen Gesellschaft insgesamt, sondern offenes Engagement und, wenn nötig, aktives Streiten für die Demokratie. Schwarzsehen ist vor allem eines: kontraproduktiv.
Der Autor ist Rechtsanwalt und Journalist und war von 1986 bis 1992 Direktoriumsmitglied und Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Er moderiert die wöchentliche Sendung »Schalom« im Deutschlandfunk.