Jeder weiß, wie schwer es ist, für sein Kind die richtige Schule zu finden. Noch schwerer wird es, wenn sie jüdisch sein soll. Aber richtig aufreiben kann es Eltern, wenn gleich mehrere jüdische Schulen zur Auswahl stehen. Margalit Berger erzählt, was sie in Brüssel erlebte.
Sie ist 80 Zentimeter groß und kann jeden um den Finger wickeln, wenn sie den Kopf schief legt und mit den Augendeckeln klappert. Bevor sie ihre Milchflasche leert, sagt sie gern »Lechajim«, das hat ihr Vater ihr beigebracht. Sie ist ein großer Fan der jüdischen Gedankenwelt, kämpft jede Woche unter Ellenbogeneinsatz um einen Schluck vom Kiddusch-Wein, stopft sich freitagabends mit Challa voll bis zum Anschlag und hofft jeden Samstagabend, dass sie endlich mal die Hawdala-Kerze halten darf.
Das ist meine Tochter Emmanuelle – ganz klar eine Anwärterin für die Vorschule des Brüsseler Athénée Maimonide, der einzigen religiösen Schule am Platz. Emmas Kumpels sind alle schon eingeschrieben, panikartig mache ich ein paar Monate vor ihrem dritten Geburtstag einen Termin mit der Direktion.
Einige Tage später stehe ich vor einem bedrohlich wirkenden Betonklotz in der mit Abstand miesesten Gegend Brüssels. Drei Mal bin ich an dem gesichtslosen Gebäude vorbeigelaufen. Keine Fenster, kein Pförtner, kein Schild – nichts verrät, dass es sich hier um die Maimonides-Schule handelt. Strengstes Inkognito ist angesagt, denn die Gegend hier ist wirklich gefährlich.
Na gut, ich weiß, dass der Laden fast pleite ist, aber wie wär’s denn mit einem Umzug in ein anderes Viertel? Oder einer Fassadenreinigung? Oder auch nur ein paar Blumenkästen? Irgendwas, damit der Bau nicht so nach Jugendknast aussieht.
Aber was soll’s, die Security schleust mich rein, und am Tor erwartet mich auch schon die Direktorin mit dem ausgesucht breiten Lächeln, das insolvente Institutionen in der ganzen Welt für potenzielle, zahlungswillige Mitglieder parat haben. Sie winkt mich rein, durch einen Korridor, der vollgepflastert ist mit Postern und knalligen Spruchbändern: »Haschem ist immer mit uns!«, »Ahavat Israel für uns alle!«, »Sammele Mizwot jeden Tag!« – Sprüche, die mich mental ins Chabad-Sommercamp versetzen.
Ich lasse mir von der Direktorin erläutern, dass jeden Morgen Schacharit gebetet wird (Eltern willkommen), dass jedem Essen Birkat Hamason folgt, dass bauchfrei, Minirock und Piercing tabu sind ... Ich denke im Stillen, dass mir der Laden so weit ganz gut gefällt und verabschiede mich. Doch als ich wieder vor der Tür stehe, in der pulsierenden Gegend um den Gare du Midi, beliebter Drogenumschlagplatz und Brüssels Crime Scene No 1, wird’s mir doch etwas mulmig. Dunkle Gestalten drücken sich in die Ecken, es riecht nach öffentlichem Klo. Hilfe! Ich flüchte in die Metro und zweifle daran, ob ich mir und Emma diese Slum-Experience die nächsten 16 Jahre antun will.
Am nächsten Tag hänge ich mich ans Telefon, es muss doch in dieser Stadt auch jüdische Schulen geben, wo Messerstechereien vor der Tür nicht an der Tagesordnung sind.
Wie wär’s denn zum Beispiel mit Ganenu, der größten und beliebtesten Brüsseler Schule, einer Art Club Med als Lehranstalt getarnt? 4.000 Hektar Wald- und Wiesenfläche außerhalb der Stadt, Nobelschule, für die ich meinen Ganztags- gegen einen Halbtagsjob eintauschen müsste, um Emma jeden Morgen raus in die Pampa zu kutschieren. Allerdings muss der Job doppelt so viel abwerfen wie mein jetziges Salär, denn der Laden ist nicht billig! Dafür sind beste Kontakte mit Sprösslingen der israelischen Botschaft und der EU-Kommission garantiert. Naja, vielleicht im nächsten Leben, oder wenn ich im Lotto gewinne.
Dann gibt’s da noch: Beth Aviv, sehr beliebte laizistische Schule im besten Villenviertel. Avenue Molière – hier wohnen die Reichen und Schönen, ich sehe meine Tochter schon in der Pferdekutsche zum Unterricht vorfahren. Aber eine religionsfreie jüdische Schule? Wer ist wohl auf diese hirnrissige Idee gekommen? Eine Freundin von mir hat diese Anstalt besucht und erzählt vom Unterricht zu Tu Bischwat: strictly Obst und Gemüse, kein Geschwafel über Brachot, Tora, Gott oder Ähnliches. Stattdessen redet man über die Sonne, gutes Wetter, Ausflüge, Umweltschutz, den Regenwald, kippende Gewässer. Interessantes Konzept, doch jüdischer Laizismus ist einfach nicht meine Baustelle. Womit wir wieder beim Athénée Maimonide wären, dem Ausgangspunkt meiner Odyssee.
Und so haben wir uns denn, wie die anderen Eltern auch, einen garantiert diebstahlsicheren Opel Zafira mit Panzerglas und versteckten Tränengaswerfern angeschafft, Emma hat schnell noch einen Krav-Maga-Kurs absolviert, und wir haben recht günstig eine kleine kugelsichere Weste gekauft. Athénée Maimonide, wir kommen!