von Sabine Brandes
Es kommt immer wieder mal vor, dass in Israel das öffentliche Leben aus dem Takt gerät. Doch an diesem Montag ist es etwas Besonderes. Der Papst ist im Land. Und um 17.30 Uhr spricht er in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Ein heikler Termin, vielleicht der wichtigste seiner Reise. Die Israelis jedenfalls wollen wissen, was der Gast zu sagen hat. Als Papst und als Deutscher.
Benedikt XVI. steht in dem fensterlosen Raum, entzündet die Ewige Flamme und legt einen gelb-weißen Kranz nieder. Dann spricht er kurz mit sechs Schoa-Überlebenden. Später wird Avraham Aschkenasi, der als Vierjähriger im besetzten Griechenland getauft wurde, um zu überleben, sagen: »Es war aufregend, den wichtigsten Würdenträger der christlichen Welt zu treffen, sein Besuch in Yad Vashem ist sehr wichtig. Doch der Papst ist nicht ganz unschuldig.«
So bewegend die Zeremonie auch war – die Rede des Pontifex hat viele enttäuscht. Mitarbeiter der Gedenkstätte bezeichneten sie als »lauwarm und zu distanziert«. Avner Shalev, Vorsitzender des Direktoriums von Yad Vashem, hatte gehofft, der Papst, »der ja auch ein Mensch ist«, würde seine persönliche Erfahrung einbringen, Nazis und Deutsche eindeutig benennen und verurteilen. Doch das tat das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht. Dennoch sei die Ansprache von Bedeutung gewesen, sagt Shalev. Denn der Papst habe der Holocaust-Leugnung eine klare Absage erteilt. »Man kann einen Nachbarn seines Besitzes berauben, seiner Möglichkeiten und der Freiheit. Doch keiner kann den Namen eines Mitmenschen auslöschen. Mögen die Namen der Opfer niemals in Vergessenheit geraten.«
Klare Worte. Doch vielen reichten sie nicht aus. Tel Avivs Oberrabbiner Yisrael Meir Lau, selbst Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, kritisiert, der Papst hätte direkter Beileid bezeugen oder Empathie zeigen müssen. Knessetsprecher Reuven Rivlin geht noch einen Schritt weiter: Benedikt sei als Mitglied von Hitlerjugend und Wehrmacht ein Teil der Nazi-Ausrottungsmaschinerie gewesen. Auch wenn es andere, lobende Stimmen gibt – der Haussegen hängt schief.
Dabei hatte am Montagvormittag alles so vielversprechend begonnen. Leichtfüßig schritt der prominente Pilger die Gangway am Flughafen herunter. Die weiße Soutane flatterte im warmen Wind des Nahen Ostens. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Papst Benedikt XVI. war in Tel Aviv zu seiner ersten Reise ins Heilige Land eingetroffen. Es schien, als wolle er der Welt zügigen Schrittes beweisen, dass er sich nicht scheut, auch einen schweren Gang zu gehen. Unten auf dem roten Teppich standen Staatspräsident Schimon Peres und Premier Benjamin Netanjahu, um den hohen Gast zu begrüßen.
Israel erwartete viel von seinem Besucher, sehr viel. Und Benedikts Reise begann vielversprechend. Nach seiner Ankunft aus Jordanien, wo er zuvor drei Tage verbracht hatte, sagte er noch auf dem Rollfeld des Ben-Gurion-Flughafens: »Ich bin gekommen, um, wie so viele vor mir, an den heiligen Stätten zu beten, vor allem für Frieden. Tragischerweise hat das jüdische Volk die schrecklichen Folgen von Ideologien erlebt, die die fundamentale Würde eines jeden Menschen verneinen.« Es sei richtig und angemessen, dass er während seines Aufenthalts in Israel die Möglichkeit habe, die Erinnerung an die sechs Millionen Opfer der Schoa in Ehren zu halten und zu beten, dass die Menschheit nie wieder ein Verbrechen derartigen Ausmaßes erleben müsse. »Traurigerweise zeigt der Antisemitismus noch immer sein hässliches Haupt in vielen Teilen der Welt. Dies ist gänzlich inakzeptabel.« Jede Anstrengung müsse unternommen werden, um ihn zu bekämpfen, wo immer er auftauchen mag.
Die Erwähnung der Opferzahl war ein Schlüsselmoment, mit dem sich der Papst von Holocaust-Leugner Richard Williamson distanzierte. Auch der Gebrauch des hebräischen Wortes Schoa für den Völkermord an den europäischen Juden war weise gewählt.
Während Benedikt nach Jerusalem unterwegs ist, werden dort bereits die ersten Straßen gesperrt. Die Einwohner, an Staatsbesuche und die damit verbundenen Staus gewöhnt, nehmen es gelassen. »Das gehört eben dazu, der Papst kommt schließlich nicht alle Tage«, sagt Taxifahrer Avner Efraim. »Und wenn er sich für den Frieden bei uns einsetzt, ist es das doch wert.« Große Hoffnung aber hat Efraim nicht, dass ausgerechnet der Pontifex der umkämpften Region endlich Ruhe bringen wird, »aber ein Versuch kann ja nicht schaden«.
Obwohl es zuvor einige Unstimmigkeiten zwischen dem Vatikan und Israel gegeben hatte, zum Beispiel bei der Frage nach der Verwaltung christlicher Stätten, mühten sich die israelischen Offiziellen redlich, dem Chef von 1,2 Milliarden Katholiken einen angemessenen und angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Sei es in Jerusalem, während der Riesenmesse in Nazareth oder beim Wandeln auf den Pfaden Jesu am See Genezareth – überall im Land flattern die gelb-weißen Fahnen des Vatikans. Auf Postern ist zu lesen: »Jerusalem heißt Papst Benedikt XVI. willkommen – im Sinne von Einheit und Frieden«.
In der Präsidentenresidenz, wo Benedikt von drei Kindern – einem muslimischen, einem christlichen und einem jüdischen – begrüßt wird, herrscht feierliche Stimmung. Präsident Schimon Peres überreicht dem Gast Geschenke, darunter eine Bibel, dank Nanotechnologie auf Miniformat geschrumpft. Er sagt: »Ich bin mir sicher, dass Sie so eine im Vatikan noch nicht haben.« Den Eltern des im Gasastreifens entführten Soldaten Gilad Shalit, die Peres eingeladen hat, verspricht der Papst, alles zu tun, um ein Lebenszeichen zu erhalten und die Verhandlungen für die Freilassung zu unterstützen. Aviva und Noam Shalit übergeben ihm ein Kinderbuch, ins Italienische übersetzt, das Gilad kurz vor seiner Entführung geschrieben hat. Als der Hai und der kleine Fisch sich zum ersten Mal begegneten ist dem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern gewidmet.
Das alles sieht nach großer Harmonie aus. Doch der Papstbesuch ist keine einfache Pilgerreise. Jede Geste, jedes Wort seiner fünftägigen Reise durch Israel und nach Bethlehem in den Palästinenser-Gebieten wird genau beäugt und analysiert. Nicht nur von der versammelten Weltpresse, sondern vor allem von den verschiedenen Fraktionen: Regierung, Oberrabbinat, Palästinensische Autonomiebehörde und christliche Oberhäupter im Land. Jede Seite hat ihre ganz besonderen Befindlichkeiten.
Den Menschen auf der Straße ist das nicht so wichtig. Viele freuen sich, dass der Papst im Land ist. Allein schon der Besuch zeige, »dass er Pro-Israel und Judentum ist«, sagt die Jerusalemerin Schiri Sarvi. »Mir gefällt sein Auftritt sehr, er trifft sich mit unseren Rabbinern, besucht unsere heiligen Stätten und spricht sich gegen Antisemitismus aus. Alle, die das kritisieren, sind notorische Nörgler. Was wollen sie denn noch alles?!« Schließlich gehe es doch um Verständnis, und das zeige der Papst.
Auch Rabbiner David Rosen, Vorsitzender des Internationalen Jüdischen Komitees für interreligiöse Konsultationen und Berater des Oberrabbinats, freut sich über die päpstliche Visite. »Der Respekt, den er den Juden in ihrem Heimatland bezeugt, hat außerordentliche Wirkung.« Dass der Besuch in Yad Vashem von größter Bedeutung war, davon ist Rosen, Träger eines päpstlichen Ritterordens, überzeugt. »Ich bin aber auch ein wenig enttäuscht«, sagt er. »Ich habe mir eine persönlichere Rede gewünscht, zumal Benedikt ja Deutscher ist.« Dennoch sei die Verbindung zwischen dem Papst und den Juden sehr eng, »das Verhältnis zu Israel ist ihm sehr wichtig«. Benedikt XVI. habe alles getan, um seine Verbundenheit mit dem Judentum zu bekunden, findet Rosen. Für seine Organisation und das israelische Oberrabbinat sei die Affäre um Williamson übrigens erledigt, nachdem der Vatikan versichert habe, der Holocaust-Leugner werde keine Funktionen als Bischof ausüben, solange er bei seinen Aussagen bleibe.
Bei Williamson hatte Papst Benedikt noch allzu lange mit einer Reaktion auf sich warten lassen. In Jerusalem zeigte er, dass es auch schneller geht. Bei einem interreligiösen Treffen mit Vertretern der drei großen monotheistischen Religionen hatte ein muslimischer Geistlicher den jüdischen Staat scharf angegriffen. »Israel schlachtet Frauen, Kinder und alte Menschen ab«, rief Scheich Taysir Al-Tamimi. Da die Rede auf Arabisch gehalten wurde, verstand Benedikt die Worte zunächst nicht. Nachdem sie ihm jedoch übersetzt worden waren, verließ er sofort die Konferenz.
Dennoch hat es Benedikt nicht leicht. Immer wieder wird er an seinem Vorgänger Johannes Paul II. gemessen. Der polnische Papst war im Jahr 2000 zu einem Besuch gekommen und von den Israelis fast wie ein Popstar gefeiert worden. Seine Bitte um Vergebung für die Schoa, die er als Zettel in die Klagemauer steckte, gilt als historisches Bekenntnis. Am Dienstag steht Benedikt vor dem höchsten Heiligtum der Juden. Auch er steckt nach einem stillen Gebet seinen Zettel in eine Mauerspalte. Frieden für die Region und die Menschheit wünsche er sich, steht auf dem Papier. Ein wichtiger Wunsch. Doch ein anderes Wort hätte größere, historische Bedeutung erlangen können: »Verzeihung«.