avon Jonathan Scheiner
Ihre Eltern hat Dorothy Bohm erst Anfang der sechziger Jahre wiedergesehen. Nach mehr als 20 Jahren. Das klingt wie ein Wunder, und war ganz anders geplant. Als Kind wollte sie sich den »zionistischen Traum« erfüllen, sagt die heute 81jährige. Sie war Mitglied von Maccabi Bar Kohba, spielte erfolgreich Tischtennis und Basketball in ihrer Heimatstadt Memel. Dann aber kamen die Deutschen, und ihr Vater, ein wohlhabender Textilfabrikant, der später vor allem Wiener Juden bei der Aliah geholfen hat, schickte die 15jährige statt nach Palästina zu ihrem Bruder Igor nach England. Der Rest der Familie blieb, wurde ermordet oder gelangte auf Irrwegen in sowjetische Lager in Sibirien. Von dort hat sie Dorothea Israelit, wie sie vor der Heirat mit dem polnisch-jüdischen Chemiker Louis Bohm hieß, Anfang der sechziger Jahre in den Westen geholt. Eine Villa im ligurischen Bocca di Magra sollte neuer Familiensitz werden.
Dorothy Bohms Karriere hatte zu dieser Zeit längst begonnen. Anfangs arbeitete sie als Porträtistin in Manchester, wo sie das erfolgreiche »Studio Alexander« gegründet hat. Schon seit Mitte der vierziger Jahre hatte sie zu reisen begonnen und sich mit der Stadt- und Landschaftsfotografie auseinanderzusetzen. 1948 war sie erstmals in Israel, wo eine vielzahl herrlicher Aufnahmen entstanden sind, die längst als kostbare Zeitzeugnisse gehandelt werden. Zuletzt waren diese Bilder 1986 im Israel-Museum in Jerusalem zu sehen. Einige Fotografien sind auch in dem Bildband Breaks In Communication, (Steidl-Verlag 2002) abgedruckt.
Der Aufstieg zu einer von Englands wichtigsten Nachkriegsfotografen gelang 1969 über die Schwarzweiß-Serie »People At Peace«, die im Rahmen der Ausstellung »Four Photographers in Contrast« am Institute of Contemporary Arts in London gezeigt wurde, gemeinsam mit Werken von Don McCullin, Tony Ray-Jones und Enzo Ragazzini. Dann erschien mit A World Observed ihr erster Bildband. 1971 gründet sie mit Sue Davis die »Photographers Gallery«, die erste Galerie, die sich ausschließlich der Fotografie widmete. Ähnlich erfolgreich war die Focus-Gallery, die Dorothy Bohm mit Helena Kovac 1998 in London-Bloomsbury gründete. Ein Jahr später wurde dort ihre erste Retrospektive gezeigt. »Alle Länder, die ich bereist habe, wollten am Ende meine Bilder ausstellen «, sagt die heute 81jährige nicht ohne Stolz.
Das gilt für etliche Länder zwischen den USA, Rußland, Ägypten oder Südafrika. Das gilt aber auch für die vielen Städte, in denen Bohm Bilder geschossen hat. Nur für Deutschland und Berlin gilt das nicht, wo derzeit im Verborgenen Museum 90 Fotografien gezeigt werden. Kurioserweise werden bei der Deutschlandpremiere der berühmten Fotografin ausgerechnet Bilder gezeigt, die Paris thematisieren. Die Bilder der Ausstellung »Un Amour de Paris« (Liebe zu Paris) waren vorher im Pariser Musée de Carnavalet-Histoire zu sehen.
Zu Paris hat Dorothy Bohm eine besondere Beziehung. Mitte der vierziger Jahre war sie erstmals dort. Später hat sie ein Jahr lang in der Seine-Metropole gelebt. Durch alle Schaffensphasen hindurch sind Bilder entstanden. Zuletzt eine wunderbare Serie mit Plakatwänden, auf denen abgerissene Poster oder Grafitti zu sehen sind. Die Motive, Buchstaben- oder Bildfragmente fügen sich zu abstrakten graphischen Anordnungen. Die kühnen Assemblagen der Da- daisten könnten Pate gestanden haben.
Dorothy Bohms Hang zum graphischen Element war schon früh sichtbar. Selbst ihre Landschaftsbilder aus den 50er und 60er Jahren sind nicht nur einfach Abbilder von Himmel und Erde, sondern vielmehr Kompositionen, die der Malerei entlehnt sein könnten. Kaum ein Bild, bei dem die Motive nicht messerscharf »ins Bild gerückt« wurden. Wolke, Baum und Pfütze sitzen exakt an der richtigen Stelle. Zweifellos geht es auch hier, wie immer in der Fotografie, um die Kunst, im richtigen Augenblick abzudrücken. Selbst bei Personenszenen, zum Beispiel spielende Kinder auf der Straße von Hebron, ist scheinbar kein Detail zuviel. Alles sitzt am richtigen Fleck.
»Un Amour de Paris – Photographien 1947 bis 2002«, bis 9. Juli im Verborgenen Museum, Berlin-Charlottenburg, Schlüterstr. 70. Do - Fr: 15-19 Uhr, Sa - So: 12-16 Uhr