von Benita von Kyaw
Das M4-Sturmgewehr hängt quer über seinem Rücken, die Jericho-Pistole sitzt fest im Halfter am rechten Oberschenkel. Unter ihm schnurrt eine Kawasaki KLE 500. Der Anblick von Yaniv Phil lässt an Rambo denken. Denn da gibt es diese schwarze Sonnenbrille, das Funkgerät, zwei Handys, einen Beeper und schließlich die bedrohliche schwarze Motorradkluft. »Wir sind mehr als Polizisten«, sagt Yaniv und meint damit sich und seine 23 Kollegen. »Wir sind Yassam, Krieger!« So heißt auch seine Spezialeinheit. Die Polizisten sollen martialisch wirken, denn ihr Einsatzgebiet ist Jerusalem. Und sie haben eine besondere Aufgabe: Terroristen erkennen und jagen, möglichst bevor sie sich und Unschuldige in die Luft sprengen. Aber nicht nur das. »Wir greifen auch bei Geiselnahmen oder ähnlichen kriminellen Delikten ein. Und der Personenschutz gehört zu unseren Aufgaben«, sagt Yaniv in einwandfreiem Deutsch und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: »Wir sind vergleichbar mit den Spezialeinsatzkräften in Deutschland.«
Dass der 32-jährige Yaniv mit den Sicherheitseinrichtungen dort genauso vertraut ist wie mit der deutschen Sprache, hat einen einfachen Grund. Er arbeitete vier Jahre lang in Berlin an der israelischen Botschaft. »Dort war ich als Personenschützer für Botschafter Shimon Stein zuständig«, erzählt Yaniv. Gerne denkt er an die Zeit in der deutschen Hauptstadt zurück, nicht nur, weil er dort seine Frau kennengelernt hat. »In Berlin im Café zu sitzen, war einfach toll, immer alles so ruhig«, sagt Yaniv und lacht. Erstmals hat man den Eindruck, der 1,80 Meter große drahtige »Krieger« kann auch ein richtig netter Kerl sein.
In Jerusalem, seit vier Jahren sein Einsatzgebiet, ist es dagegen alles andere als ruhig. In der israelischen Hauptstadt tobten bereits zwei Intifadas. Hier wird Politik gemacht. Und hier wird demonstriert, von Palästinensern wie von orthodoxen Juden. Ein »heißes Pflaster«, wie der Chef der Motorradtruppe, Yair Wajcenberg, das Aufgabengebiet nennt. Das ist auch der Grund dafür, warum seine Einheit 1991 gegründet wurde. »Während der ersten Intifada hat man gemerkt, dass wir eine prompte Antwort auf die Probleme hier haben müssen. Ein Spezialpolizist auf einem Motorrad ist der schnellste und beste Weg, um auf die schwierigen Zwischenfälle zu reagieren.« Schwierige Zwischenfälle – damit meint er vor allem die Selbstmordattentate in Jerusalem.
Einen solchen Einsatz hat Yaniv auch schon erlebt. »Das war 2004«, erinnert er sich, und das Lachen ist längst wieder aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Körperspannung nimmt zu, als er mit wachen Augen erzählt: »Der Selbstmordattentäter stand vor dem Mahane-Yehuda-Markt und trug einen Bombengürtel. Die Finger waren schon am Auslöser. Wir erhielten per Funk den Einsatzbefehl, zehn Sekunden später waren mein Kollege und ich da. Wir gingen gleich auf ihn drauf, ich hielt seine Hände fest. Erst dann kamen die anderen Einheiten dazu.«
Terroristen schnell erkennen und überwältigen, das will geübt sein. Die »Krieger« tun das wöchentlich. Dann fahren sie hinaus auf einen kargen, steinigen Übungsplatz irgendwo in den Hügeln vor Jerusalem. Dort bereitet der Chef immer wieder neue Situationen vor, die seine Jungs »klären« müssen, wie es im Fachjargon heißt. So auch heute. Er zeigt auf den Platz: »Also rein in den Raum, durchladen, dann alle schießen. Weiter zum nächsten Ziel, wieder durchladen, wieder schießen. Vorher die Handgranaten bloß nicht vergessen.« Die Szenerie: Im Feld, hinter drei versetzten Deckungsmöglichkeiten, ist ein Attentäter als Schießscheibe aufgebaut, wohl nicht zufällig ziemlich arabisch aussehend, mit Vollbart und langen dunklen Haaren. Vermutlich trägt er eine Bombe. Eine weitere Attentäterfigur steht hinter ihm, er hält offenbar eine Frau als Geisel im Arm. »Action!«, brüllt der Chef, und die Staffel macht Action. Schnell fahren die Teams auf drei Motorrädern vor, springen ab, gehen abwechselnd in Deckung und schießen. Es fallen ein paar Dutzend Schüsse. Dann Stille. Der Laie erwartet jetzt jede Menge Löcher, überall. Der Fachmann aber zeigt auf die verschiedenen Schießscheiben. Überwiegend wurden die Köpfe und Herzen der Terroristen-Attrappen getroffen. Auch die Geiselschießscheibe hat einen Treffer abbekommen, ein Loch ziert den Rand der Pappschulter. »Macht nichts«, sagt der Chef schnell, »Frauen haben doch immer diese Polster aus Watte drunter. Im richtigen Polizistenleben wäre das eine hundertprozentige Trefferquote.«
Das richtige Leben findet für die Staffel häufig nachts statt. Gerade rund um die Altstadt, der Schnittstelle zwischen Ost- und Westjerusalem, der roten Linie zwischen Juden und Arabern, gibt es für die Motorradpolizisten am meisten zu tun. »Waffenverstecke im Gebüsch, Leute, die hier nichts zu suchen haben. Verdächtige werden gerade hier von uns oft gesucht und auch gestellt«, erzählt Yaniv, der kein großer Freund der Nachtschichten ist, wie er grinsend zugibt. »Zu Hause habe ich ein kleines, zwei Monate altes Mädchen. Viel Schlaf kriege ich also wirklich nicht.« Doch selbst unter Schlafmangel schnell zu entscheiden und zu handeln, dafür sind die »Krieger« ausgebildet. Alle 24 stammen aus Spezialeinheiten des Militärs. Von dort führte sie der Weg zunächst in eine andere Sondereinheit der Polizei. »Nur die Talentiertesten werden Krieger in der Motorradeinheit. Das sind die, bei denen man spürt, dass sie es wirklich wollen«, erläutert Yair Wajcenberg das Auswahlverfahren. Aber wenn nötig, wie jetzt während des Gasakrieges, werden die Motorrad-Polizisten auch wieder beim Militär eingesetzt. »Die Hälfte meiner Leute hat in Gasa gekämpft«, sagt Wajcenberg. Auch Yaniv wollte dorthin, »aus Überzeugung«, wie er sagt. Er sei nun einmal ein »Krieger«. Doch aus dem Einsatz wurde nichts. »Meine Frau hat ihr Veto eingelegt«, sagt er etwas zerknirscht.
Auch an der Heimatfront Jerusalem gab es genug zu tun. »Normalerweise haben wir bis zu 100 Terrorwarnungen und -einsätze am Tag«, erzählt Yaniv. »Während des Gasakriegs waren es deutlich mehr. Die Stimmung in Ostjerusalem war sehr aufgeheizt, dort gab es viele Aufstände und Demonstrationen der Palästinenser.« Wenn kein Krieg herrscht oder ein konkreter Einsatzbefehl per Funk kommt, »dann spüren wir die Terroristen selbst auf«, sagt Yaniv. Wie das funktioniert? »Los geht’s«, sagt er, klappt energisch sein Helmvisier runter und fährt los. Richtung Ben-Yehuda-Fußgängerzone im Zentrum Jerusalems, wo bereits zahlreiche Bombenanschläge verübt wurden. Yaniv und sein Kollege machen das Motorrad aus und mustern die Menschen, die auf der 200 Meter langen Straße flanieren, etwas essen oder einkaufen gehen. Es gibt keine konkrete Warnung, keine ausgemachte Gefahr. Hier geht es darum, »die Bösen auszuspähen«, wie Yaniv es nennt. Das Schwierigste dabei ist, eine blitzschnelle und richtige Entscheidung zu treffen, sobald sich jemand verdächtig verhält. Doch wie erkennt man einen »Bösen«? Ist es der Mann mit Bart, der im Café sitzt, oder der junge Typ mit der Plastiktüte? Oder doch eher die Frau, die am Mülleimer steht? Yaniv lacht kurz auf und zeigt auf seine Augen: »Die sind unser wichtigstes Werkzeug. Mit einer gewissen Erfahrung erkennt man Terroristen. Sie haben einen besonderen Gang, tragen andere Kleidung und haben einen ungewöhnlichen Blick.«
Ein kniffliger Job. Denn oft tarnen sich die Attentäter als orthodoxe Juden, und nicht selten reißen die Motorradcops arabisch aussehende, religiöse Juden schnell zu Boden und durchsuchen sie. »Das ist möglicherweise irgendein Zivilist, einer, der überhaupt nichts gemacht hat. Und trotzdem kann es viele Signale geben, dass irgendetwas faul ist«, sagt Yaniv. Die »Krieger« müssen vor allem eines können, sagt deren Chef, während er sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe klopft: »Denken. Wir wollen, dass die Männer richtig schalten. In einer schwierigen Situation brauchen wir eine schnelle Antwort auf die Gefahr. Die gibt es nur, wenn man flink im Kopf ist.« Yaniv nickt. Und noch etwas macht seiner Meinung nach einen echten »Krieger« aus. »Er braucht Intuition, um das Richtige zu tun.«
Wie damals in Ostjerusalem. »Mein Kollege und ich bekamen den Einsatzbefehl per Funk: Schießerei in einer Wohnung. Als wir kurz danach dorthin kamen, lagen zwei Tote auf dem Boden. Der Täter war noch da. Plötzlich schauten wir in den Lauf seiner Pistole. Tja, wir haben angefangen, mit dem Mann zu sprechen, ihn dann mit ein paar Handgriffen überrascht und getötet, bevor er uns töten konnte. Wir handelten instinktiv.«
Yaniv ist stolz, ein »Krieger« zu sein. »Die Zivilisten freuen sich, wenn sie uns sehen. Wir geben ihnen wohl das Gefühl von Sicherheit.« Sicherheit, für die die »Krieger« täglich ihr Leben riskieren. Seiner Frau erzählt Yaniv längst nicht alles, was er in Jerusalems Straßen erlebt. Aber in einer weniger gefährlichen Einheit zu arbeiten, kann er sich nicht vorstellen. »Das wäre mir zu langweilig. Ich brauche Adrenalin.«