von Constanze Baumgart
Es begann 1914 mit einer koscheren Kinderspeisung. In den Räumen des Jüdischen Krankenhauses in der Auguststraße in Berlin-Mitte aßen sich jüdische Kinder aus armen Familien während der Kriegsjahre jeden Mittag satt. Nach Kriegsende wurde aus der Volksküche ein Heim für jüdische Waisen und Kinder aus zerrütteten oder notleidenden Familien. 1922 übernahm die gelernte Krankenschwester Beate Berger die Leitung des Hauses. Die »Schwester Oberin«, wie sie von ihren Zöglingen genannt wurde, verwandelte das Asyl in ein Kinderheim mit klarem pädagogischen Konzept und zionistischer Ausrichtung. Vor allem die damals neuartige psychologische Betreuung der Zöglinge machte das Beit Ahawah, zu deutsch Haus der Liebe, rasch bekannt und trug ihm einen hervorragenden Ruf ein.
Jetzt hat die Urgroßnichte von Beate Berger ein Buch über das Haus und seine Geschichte(n) geschrieben. Die Israelin Ayelet Bargur besuchte 2001 zum ersten Mal Berlin. Bei einer Führung durch das alte jüdische Scheunenviertel sah sie das ehemalige Gebäude der Ahawah, das ihr seit ihrer Kindheit aus Erzählungen vertraut war. Die junge Filmemacherin begann zu recherchieren, trug Dokumente, Fotos und vor allem Erinnerungen von ehemaligen Ahawah-Kindern zusammen, die sich an ihr Leben in Berlin und an die strenge »Schwester Oberin« erinnerten.
Herausgekommen ist dabei ein lebendiges Bild eines Stücks Berliner jüdischer Geschichte, das seine Fortsetzung in Israel gefunden hat. Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, war Beate Berger schnell klar, daß »ihre« Kinder in Deutschland nicht mehr sicher waren. Sie beschloß, mit dem gesamten Heim nach Palästina zu übersiedeln. Ein jahrelanger Kampf um Einwanderungszertifikate und Finanzmittel begann. Bis zu ihrem Tod 1940 ermöglichte Beate Berger rund 300 Kindern die lebensrettende Auswanderung nach Eretz Israel. In Kirjat Bialik, einer Siedlung in der Bucht von Haifa, baute sie ein neues Beit Ahawah auf. Heute leben in dem Heim rund 170 Kinder aus sozial schwachen israelischen Familien.
Im Zuge ihrer Recherchen hat Ayelet Bargur Lebensgeschichten wiederentdeckt, die sie im Originalton mit der Geschichte des Beith Ahawah verwebt. En passant erfährt der Leser noch einiges über die zionistische Aufbruchstimmung der Zeit, über jüdisches Leben und Denken in Deutschland vor und nach 1933. Leider hat Bargur zwischen die historische Darstellung und die ausführlichen Zitate aus Interviews noch kurze romanhafte Passagen untergemischt. Das überzeugt nicht wirklich – und ist eigentlich auch unnötig. Ihre sprudelnden dokumentarischen Quellen bieten Anschaulichkeit und Lebendigkeit in Fülle.
ayelet bargur: ahawah heißt liebe.
die geschichte des jüdischen kinderheims in der berliner auguststraße
Übersetzt von Ulrike Harnisch und
Thoralf Seiffert
dtv, München 2006, 229 S., 14,90 €.