Wenn ein Institut Geburtstag hat, kann es meist auf eine lange Liste sich in der Bedeutsamkeit steigernder Direktoren mit je eigenen Schrullen, auf jeden Fall aber je eigenen Verdiensten zurückblicken, die dann in Grußadressen jeweils aufgezählt werden müssen. Nicht so, wenn das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) Geburtstag feiert, und zwar schon den 25. Denn hier lässt sich eine erstaunliche Kontinuität sowohl in den wichtigen Personen wie in den thematischen Grundorientierungen verzeichnen.
Vor einem Vierteljahrhundert hat Jan Philipp Reemtsma das Forschungsinstitut ins Leben gerufen, das nicht zufällig das berühmte Frankfurter Institut in seinem Namen zitiert, und nur wenige Jahre später etablierten sich jene drei Arbeitsbereiche, die bis heute die wissenschaftliche Struktur des HIS stellen: »Die Gesellschaft der Bundesrepublik«, geleitet von dem seine Berufsbezeichnung Makrosoziologe ganz zu Recht tragenden Heinz Bude, »Nation und Gesellschaft« unter der Federführung von Uli Bielefeld und schließlich der besonders in den letzten Jahren enorm fruchtbare Arbeitsbereich »Theorie und Geschichte der Gewalt«, geleitet von Bernd Greiner, dessen Buch zum Vietnamkrieg, Krieg ohne Fronten, große Aufmerksamkeit gefunden hat.
aufspüren Diese dreiteilige Struktur erweist sich bis heute als tragfähig. Fragen der Massengewaltforschung etwa, in der staatswissenschaftlichen Soziologie und Geschichtswissenschaft lange Zeit kaum beachtet, haben eine große Zukunft, und die Gesellschaft der Bundesrepublik ist in der Tat ein immer wieder überraschender Forschungsgegenstand, ganz diesseits der allfälligen Jubiläen von 49 über 68 bis 89, die andernorts konjunkturell hektische Aktivitäten auslösen, am HIS aber schon Gegenstand intensiver Forschung und Reflexion waren, als noch niemand die Bundes- republik so richtig interessant fand.
Gerade im Setzen von Themen und Aufspüren von Forschungslücken liegt eine der Stärken des HIS, und man muss nicht nur auf die »großen« Bücher, etwa die Generation der Unbedingten von Michael Wildt oder die Deutschen Karrieren von Heinz Bude schauen, um zu sehen, wie sich die konzentrierte Institutsarbeit in herausragenden und impulsgebenden Einzelarbeiten niederschlägt: Da wären auch Generale in der Demokratie von Klaus Naumann oder Die UNO von Gerd Hankel zu nennen oder Die Frau an seiner Seite von Gudrun Schwarz, eine der ersten Arbeiten über das weibliche Verhältnis zur Massengewalt.
Nimmt man die wichtigen Übersetzungen dazu, die in der Hamburger Edition erschienen sind, von Michael Manns Die dunkle Seite der Demokratie bis zu Alison des Forges’ Kein Zeuge darf überleben, zeichnet sich ein erstaunlich wirkmächtiges Profil der Institutsarbeit ab, das unter dem zweifellos wichtigen Groß- und Debattenereignis Wehrmachtsausstellung gern übersehen wird, aber die akademische Holocaust- und Genozidforschung nachhaltig beeinflusst hat. Das macht den wissenschaftlichen Rang des Hauses aus, und den repräsentiert nicht zuletzt auch der Gründer und Leiter selbst.
institutsgründer Im vergangenen Jahr hat Jan Philipp Reemtsma sein summatives Buch zur Gewaltforschung und
-theorie vorgelegt: Vertrauen und Gewalt. In dem veranschlagt er zwar die literarische Kompetenz seiner Leser etwas zu hoch, liefert aber das sicher klügste Buch zum Gewaltverhältnis der Moderne bislang: Der zivilisatorische Fortschritt, der in der Monopolisierung der Gewalt liegt, hat, so argumentiert Reemtsma, zu dem trügerischen Eindruck geführt, die Moderne sei per se gewaltabstinent, und dieser irrige Eindruck wiederum dazu, dass man Gewalt immer als das Andere, Abweichende, Erklärungsbedürftige konstruiere. Rätsel schützen vor Reflexion, und damit kann man sich von dem beunruhigenden Befund fernhalten, dass Gewalt eben eine immer gegebene Option sozialen Handelns ist. Vertrauen und Gewalt stellt in gewisser Weise die individuelle Quintessenz der 25 Jahre Arbeit am und im und mit dem HIS dar, und da ist es kein Zufall, dass dieses Buch im Unterschied zu den anderen Arbeiten Reemtsmas ebenfalls im dem Haus zugeordneten Verlag erschienen ist, der »Hamburger Edition«. Die hat übrigens einen in Zeiten der Internationalisierung der Forschung eher unglücklichen Namen. Nicht selten wird von englischsprachigen Lektoren vermutet, beim Zitieren von Titeln aus diesem Verlag handele es sich doch wohl um einen Irrtum.
grosse partys Gut, wenn man viel mehr nach 25 Jahren nicht zu meckern hat. Wenn man dann konstatieren kann, dass das Hamburger Institut nicht nur ein höchst eigenes und eigensinniges wissenschaftliches Profil mit nachhaltiger Impulswirkung auf die nationale und internationale Forschungslandschaft entwickeln konnte, sondern auch eine ganze Reihe ehemaliger Stipendiatinnen oder Mitarbeiter in prominente universitäre Positionen entlassen hat, dann darf man wohl gratulieren. Umso mehr, als dieses wissenschaftliche Forschungsinstitut auch ein Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik geworden ist. Und außerdem Ort von legendären Partys war und hoffentlich bleibt.