von Rabbiner Daniel S. Katz
Emor bedeutet »Sag«. Mehrmals in diesem Wochenabschnitt sagt Gott zu Moses, daß er jemandem etwas sagen soll. Am Anfang sollte Moses den Priestern eine wichtige Nachricht überbringen: »Sag den Priestern, den Söhnen Arons, du wirst ihnen sagen, man wird sich nicht um einer Leiche willen unter seinem Volk verunreinigen«. Von einem Toten sollen Priester Abstand halten, damit sie nicht rituell verunreinigt werden. Diese Vorschrift bleibt auch heute für jüdische Priester, Kohanim, aktuell. Sie dürfen nur an der Beerdigung eines ihrer nächsten Angehörigen teilnehmen (3. Buch Moses 21,2-3).
Die Parascha beginnt also mit verschiedenen Priesterthemen – die Reinheit und Unreinheit, das Trauern und Heiraten, körperliche Makel, heiliges Essen und Tieropfer. Danach kommen die Feste und schließlich eine unangenehme Geschichte von einem Gotteslästerer, der gesteinigt wird.
Auf den ersten Blick scheinen die Bestandteile dieses Wochenabschnitts beziehungslos zu sein. Ich glaube aber, daß der Schlüssel in den Worten unseres Textes enthalten ist. Die hebräische Wurzel Kuf-Dalet-Schin erscheint in der Parascha mehr als 50 Mal. Dieses Wort wird in den meisten Fällen als »heilig« übersetzt.
»Heilig« ist heute ein schwieriger Begriff. Alles, was heilig ist, hat einen besonderen Status, es ist abgesondert. Ein Gotteshaus ist anders als eine Privatwohnung, ein Friedhof anders als ein Park, eine Bibel anders als ein Krimi, ein heiliger Tag anders als der Alltag.
Das Heilige und das Nichtheilige sind nicht wie das Gute und das Böse. Das Böse ist unbedingt schlecht. Das Nichtheilige kann aber auch gut sein. Das Böse versucht man, durch Ausbildung, Vorbild und Strafe zu vermeiden oder vermindern. Das Nichtheilige aber muß bleiben. Wir brauchen im Leben das Heilige und das Nichtheilige. Ohne das Nichtheilige könnte das Heilige nicht heilig sein.
Für die Priester, die sich von Berufs wegen mit dem Heiligen beschäftigen, sind die Rollen beider Konzepte etwa umgekehrt: Das Heilige ist ihnen normal und das Nichtheilige ungewohnt. Deshalb brauchen sie Sonderreglungen. Das ist der erste Teil der Parascha.
Der zweite Teil behandelt die Feiertage. Sie sind ein wichtiges Mittel für das Einführen des Heiligen ins Leben. Zuerst beschreibt die Tora das Heilige der Priester, danach das Heilige für das Volk. Der Gotteslästerer am Ende der Parascha stellt dann das Unheilige als Gegensatz dar.
Moses sollte die Gesetze dem Volk verkünden – seine Worte sollten den Menschen auffordern, an das Gesagte zu glauben und es im eigenen Leben praktisch umzusetzen. Unsere Worte haben sehr viel Kraft. Deswegen widmet unser Wochenabschnitt auch dem Sprechen viel Aufmerksamkeit.
Das Sagen steht in der Mitte zwischen Wahrheit und Lüge. Ob es nach diesem oder jenem geht, hängt vom Sprecher ab. Das Kommunizieren erfordert also eine Verantwortlichkeit, nicht nur von Moses, sondern von uns allen, und das immer.
Falsch zu sprechen, schadet der Wahrheit und dem Heiligen. An Jom Kippur büßen wir für »Die Sünde, die wir vor dir begangen haben durch Torheit des Mundes ..., durch Unreinheit der Lippen ... und durch das Reden unserer Lippen«. Mit Absicht falsch zu sprechen, gilt im Judentum als eine der größten Sünden. »Rabbi Chisda sagte im Namen Mar Ukabas: Wer Verleumdung spricht, verdient gesteinigt zu werden« (Arachin 15b). Wenn ein Menschenlästerer so schlimm ist, wieviel mehr dann der Gotteslästerer, mit dem unsere Parascha schließt! Wer dagegen die Wahrheit seines Wortes bewahrt, bewertet das Heilige hoch.
Emor: 3. Buch Moses 21,1 - 24,23