von Thomas Lachenmaier
Vom Münsterturm sieht Basel aus wie ein aufgeschlagenes Buch, mit dem Rhein in der Mitte. Überhaupt ist Basel eine bibliophile Stadt. Hier wurde die erste Lutherbibel gedruckt, eine der frühesten Koranausgaben verließ hier die Druckerpres- se, jüdische und christliche Verlage haben hier eine lange Tradition. Seit 200 Jahren hat die jüdische Gemeinde mit ihren heute 1.250 Mitgliedern großen Anteil am geistigen und kulturellen Leben der Stadt.
Aber nicht immer war »Basilea, die Königliche«, ein lebenswerter Ort. Nicht für Christen, noch weniger für Juden. In diesem Jahr erinnert sich die Stadt der düstersten Zeit ihrer Geschichte. Sie begann 1349 mit einem Pogrom gegen die Juden. Hunderte Menschen wurden in einem auf einer Rheininsel errichteten Haus verbrannt. Wenige Wochen später wütete die Pest. Sieben Jahre nach dem Pogrom legte ein Erdbeben die Stadt in Schutt und Asche. Es war die schwerste Erschütterung, die sich seit Menschengedenken nördlich der Alpen ereignet hatte.
Das ist jetzt 650 Jahre her. Ein rundes Datum also. Kein Wunder, daß in Basel derzeit kein Weg an dem Thema vorbei- führt. Im Schwabe Verlag erschien bereits aus Anlaß des 200jährigen Bestehens der jetzigen jüdischen Gemeinde Acht Jahrhunderte Juden in Basel von Heiko Haumann (Jüdische Allgemeine vom 15. Dezember 2005). Auch Pfarrer Bruno Waldvogel beschäftigt sich seit einiger Zeit eingehend mit Pogrom und Erdbeben. Der Geistliche hat sogar das Libretto zu einem Musical geschrieben, dessen Handlung vor dem Hintergrund der Ereignisse im 14. Jahrhundert spielt.
Mit seinem Text ging Waldvogel zum Brunnen Verlag und schlug diesem vor, auf Grundlage seines Manuskripts einen Roman schreiben zu lassen. Titus Müller, ein junger deutscher Autor historischer Romane, war vom Brunnen Verlag schnell zu begeistern und schrieb Die Todgeweihte – eine flott erzählte Geschichte über die schöne jüdische Federhändlerin Saphira, eine Geschichte von Verrat, Verfolgung, Glaube und Liebe. Nach reiflicher Überlegung entschied der Verlag, das Buch mit einem ausführlichen Anhang zu ergänzen. Er schildert das Pogrom von 1349 und das Erdbeben von 1356, stellt aber vor allem die heutige Situation dar: Wie wahrscheinlich ist ein erneutes Beben? Wie steht es um die heutige jüdische Gemeinde der Stadt? Welche Herausforderungen für heute ergeben sich aus der Vergangenheit?
In der jüdischen Gemeinde steht man dem Engagement von Bruno Waldvogel und dem Roman positiv gegenüber. Arie Folger, der junge Rabbiner der »Israelitischen Gemeinde Basel«, sieht darin eine bemerkenswerte Entwicklung. Denn das Christentum habe eine Zeitlang die Tendenz gehabt, die unangenehmen Teile seiner Geschichte zu ignorieren. Rabbiner Folger findet es »großartig«, daß man in Basel damit begonnen hat, die Vergangenheit aufzuarbeiten.