von Heike Runge
Sie sind jung, freundlich, unkompliziert. Die zwei tragen legere Jeans, Hemden mit offenem Kragen und sehen aus wie nette Nachbarssöhne. Die beiden haben jedoch etwas derart Außergewöhnliches geleistet, daß viele sich verwundert fragen: Wie haben Sergej Brin und Larry Page das bloß gemacht? In kurzer Zeit haben die Informatiker ein Doktoranden-Projekt in ein milliardenschweres Unternehmen von globaler Bedeutung verwandelt. Der Name der Firma: Google. Das klingt witzig, verspielt und man kann es sich gut merken. Der Zweck des Unternehmens: Internet-Nutzern in aller Welt die beste Suchmaschine des World Wide Web anzubieten. Die Technologie erlaubt es jedem, der Zugang zum Internet hat, das Netz in kürzester Zeit nach relevanten Daten, Informationen und Webseiten zu durchforsten. Und das völlig kostenlos. Womit also verdient die Firma ihr Geld?
Am Anfang stand die große Idee zweier Studenten, das kollektive Wissen der Menschheit im Internet zugänglich zu machen. Wie sich damit Geld machen ließ, war für die besessenen Tüftler ziemlich nebensächlich. Das jedenfalls besagt die Legende von Google. Und die soll man glauben? David A. Wise, Reporter der Washington Post stützt in seinem kürzlich auch auf deutsch erschienenen Buch Die Google Story diese Darstellung. Auch wenn sich sein Buch streckenweise wie eine Werbebroschüre liest, dürfte er die Technikbegeisterung der »Google-Guys« völlig richtig eingeschätzt haben. Schließlich könnte auch keine noch so clevere Marketingkampagne den guten Ruf herstellen, den sich Google bei Millionen von Nutzern durch sein erstklassiges Angebot und das stimmige Konzept erworben hat. Denn die globale Internet-Gemeinde ist extrem kritisch und durch Werbetricks nur schwer zu beeindrucken.
Ausgerechnet eine Eliteschule in Tel Aviv wählten Larry Page und Sergej Brin, um die Geschichte von Google öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Shimon Peres und Michael Gorbatschow waren an jenem großen Tag im September 2003 auch zugegen. Nach Israel zu kommen war für Larry Page und Sergej Brin, die beide aus jüdischen Familien stammen, auch eine tiefe Verbeugung vor einem Land, das intelligente Technologien nach Kräften fördert. Als sie die Bühne betraten, wurden sie gefeiert wie Popstars. Sergej Brins Botschaft: »Ich bin mit sechs Jahren aus Rußland in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Wie viele hier habe ich ganz normale russisch-jüdische Eltern. Aber die beiden haben eine bestimmte Einstellung zum Lernen, für die ihr sicher Verständnis haben werdet, denn ich habe gehört, daß eure Schule kürzlich sieben der ersten zehn Plätze in einem Mathematik-Wettbewerb in ganz Israel belegt hat«. Dann machte er eine kurze Pause, die Schüler applaudieren erfreut – offenbar hatten sich ihre guten Leistungen herumgesprochen. Aber Sergej Brin fügte mit gespielter Strenge hinzu: »Was ich sagen möchte, könnte von meinem Vater kommen: Was ist mit den drei anderen Plätzen«?
Page und Brin sind Internet-Benutzer der zweiten Generation. Beide sind mit dem Computer im Kinderzimmer groß geworden. Als die beiden einander an der Stanford Universität im Frühjahr 1995 begegneten, war schnell klar, daß sich hier zwei junge Männer mit ähnlichem Talent und Background gefunden hatten. Larry wurde 1973 in Michigan geboren und war durch seinen Vater Carl, einen angesehenen Informatikprofessor, und seine jüdische Mutter, eine Programmiererin, in Sachen Technik »vorbelastet«. So zerlegte er regelmäßig die Elektrogeräte der Familie mit dem Schraubenzieher, um sie anschließend wieder zusammenzubasteln. Aus Legosteinen baute er sich seinen eigenen Tintenstrahldrucker. Später war Larry dann in der Lage, die Computer im Rechenzentrum von Google selbst zu bauen. Ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil. Denn das Imperium von Page und Brin basiert nicht zuletzt auf den enormen Rechenleistungen einer maßgefertigten Computertechnologie.
Während Larry der geniale Erfinder ist und als etwas schüchtern gilt, ist Sergej der kühne Stratege, der Projekte vorantreibt und Leute von seinen Ideen zu überzeugen versteht. Sergej kam 1973 in Moskau zur Welt, wo sein Vater Michael für die Erstellung der berühmt-berüchtigten Fünf-Jahres-Pläne zuständig war. 1979 floh die Familie vor der anti-jüdischen Diskriminierung der Breschnew-Ära und ging in die USA. Nach dem spektakulären Börsengang von Google im Jahr 2004 äußerte Michael Brin, der nun als Mathematikprofessor in Maryland arbeitet, gegenüber dem Time Magazin sein Erstaunen über die Karriere seines Sohnes. Er habe immer gehofft, Sergej trete mal in seine Fußstapfen und werde Wissenschaftler. Das Paradoxe ist, daß die milliardenschwere Firma, deren Börsenwert im vergangenen Jahr den von Disney, General Motors oder McDonalds übertroffen hat, bei Millionen von Surfern im Internet das Image eines grundsympathischen Projekts von Enthusiasten für Enthusiasten hat.
Larry Page und Sergej Brin sind Anfang 30 und haben viel erreicht. Sich damit zufriedenzugeben und ein müßiges Milliardärsleben zu führen, ist ihre Sache nicht. Das gigantische Rechenzentrum von Googleplex, wie die Firmenzentrale in Silicon Valley getauft wurde, dient ihnen inzwischen als Basis für neue, noch kühnere Projekte. Eins davon ist die digitale Bibliothek, mit der die Weltliteratur im Internet zugänglich werden soll. Filmarchive sollen folgen.
Die beiden Google-Guys sind Visionäre, deren Denken keinerlei Beschränkungen kennt. So träumte Sergej Brin einmal laut davon, eine kleine Version von Google direkt dem menschlichen Gehirn anzuschließen. Eine Art Taschencomputer für den Kopf. »Was«, fragte er, »spricht dagegen, das Gehirn zu verbessern?« Wie immer die Antwort lautet, sie sollte gut überlegt sein. Denn »Geht nicht« gibts nicht für die Jungs von Google.