Bernard Lewis räumt mit einem beliebten Vorurteil auf: »Sunniten und Schiiten sind nicht die Katholiken und Protestanten des Islam.« Denn, führt der emeritierte Islamwissenschaftler von der amerikanischen Princeton-Universität aus: »Bei der Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten ging es von Anfang an ausschließlich um Politik: wer der legitime Nachfolger des Propheten Mohammed ist.«
Der 92-jährige Lewis weilte auf Einladung des »Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism« in Israel. Die Hebräische Universität in Jerusalem diskutierte mit ihm, was der Streit zwischen Sunniten und Schiiten für Israel heute bedeutet. Nach dem Tode Mohammeds wurde sein Schwiegervater, der Kalif Abu Bakr, dessen Nachfolger. Dessen Anhänger sind die Sunniten, abgeleitet von dem Wort Sunna (»Tradition des Propheten«). Für die Schiiten (Schia heißt »Partei«) war Mohammeds Schwiegersohn Ali der rechtmäßige Nachfolger.
Heute, so Lewis, spiele das Schisma kaum noch eine Rolle. Eine Ägypterin habe ihn, den Islamologen, einmal gebeten, ihr zu erklären, ob sie Schiitin oder Sunnitin sei.
Die Ausnahme bilde der heutige Iran mit seiner mehrheitlich schiitischen Bevölkerung. »Die Schiiten haben im Laufe der Jahrhunderte eine Art Verfolgungswahn ausgebildet, weil sie fast überall in der islamischen Welt in der Minderheit waren und von der sunnitischen Mehrheit auch tatsächlich unterdrückt wurden«, erklärte Lewis.
Mit der Iranischen Revolution im Jahr 1979 entstand eine ganz neue Bedrohungssituation für die arabisch-sunnitische Welt. Die Schia erhob nun ihren Anspruch auf Vorherrschaft in der ganzen islamischen Welt. Darüber hinaus sei der Iran bei den schiitischen Bevölkerungsteilen in den arabischen Ländern beliebt. In dieser Situation fragten sich manche arabische Staaten, glaubt Lewis, ob sich Israel nicht als potenzieller Alliierter gegen die iranische Gefahr anböte. Zwar sei der Schia, so Lewis, mit dem Wahhabismus in Saudi-Arabien ein nicht minder radikaler Gegenspieler erwachsen. »Aber insgesamt war die Schia immer sehr viel judenfeindlicher als der sunnitische Islam.
Wie aktuell Lewis’ Analysen sind, daran erinnerten in Jerusalem andere Referenten: Ex-Mossad-Chef Efraim Halevy erinnerte daran, dass bei der Staatsgründung 1948 noch die gesamte sunnitische Welt geschlossen gegen Israel stand. In dieser Situation konnte Israel eine »geheime Allianz« mit dem damaligen säkular-schiitischen Schah-Regime im Iran schließen. Das war für Israel ökonomisch von großer Bedeutung, konnte es auf diese Weise doch Öl aus dem Iran beziehen. Ähnliche »geheime Allianzen« gab es auch mit sunnitischen Ländern wie der Türkei, Äthiopien und Marokko. Mit der Iranischen Revolution 1979 endete die Allianz mit dem Iran. In den 80er-Jahren habe Israel sich gefragt, welche Seite es im Iran-Irak-Krieg unterstützen solle. Doch beide Seiten lehnten Israel als Bündnispartner ab. Halevys Schlussfolgerung: Der Versuch, sich innerislamische Spannungen für den eigenen Vorteil zunutze zu machen, übersteige die Fähigkeiten Israels und solle deshalb besser unterbleiben.
Schiiten und Sunniten