von Till Fähnders
Die Ohel-Moishe-Synagoge steht am Rand einer kleinen Siedlung schwarzer alter Häuser in Schanghai. Die Gassen im Stadtteil Hongkou sind bis zu hundert Jahre alt. Der Backstein der Gebäude bröckelt, aus den Fenstern hängt Wäsche. An diesem Ort lebten einst Juden aus Europa, erzählen Anwohner. Juden, die es auf der Flucht vor den Nazis bis in den Fernen Osten verschlagen hatte. Zur Erinnerung an die Rettung dieser bis zu 20.000 Emigranten will der Bezirk die Synagoge in den nächsten Monaten restaurieren und zu einem Gedenkzentrum ausbauen.
Schanghai war von den späten 1930er Jahren an einer der letzten Orte, an dem noch jüdische Flüchtlinge aufgenommen wurden. Lange mochte in China niemand daran erinnert werden. Die Episode passte den Kommunisten nicht ins Weltbild. Denn indirekt war der westliche Imperialismus verantwortlich für die glückliche Fügung der Geschichte. Die Stadt wurde von Kolonialmächten beherrscht. Wegen der Exterritorialität des Stadtkerns benötigten die Emigranten kein Visum.
»Die Chinesen haben ihre eigenen Probleme gehabt«, berichtet die heute in Berlin lebende Ex-Schanghaierin Sonja Mühlberger am Telefon. »Unser Teil der Geschichte war für die Chinesen nur ein kleiner Teil ihrer eigenen großen Geschichte.« Sonja Mühlberger ist 1939 in Schanghai geboren und lebte dort acht Jahre lang nur einen Wohnblock von der damaligen Synagoge entfernt. Erst vor wenigen Jahren hat Schanghai diese Vergangenheit wieder für sich entdeckt.
Bis in die 90er Jahre waren Büros in der Ohel-Moishe-Synagoge untergebracht, noch vor kKurzem arbeiteten im ersten Stock Mitglieder der Bezirksverwaltung. Doch es kamen immer mehr ausländische Besucher, viele ehemalige Emigranten, auch bekannte Politiker wie Joschka Fischer. Und inzwischen leben nach Informationen des World Jewish Congress auch wieder rund 1.000 Juden in China. »Die Geschichte ehrt die Stadt«, sagt Zhu Zhengui, der in der Synagoge seit zehn Jahren als Wächter arbeitet und vielen Gästen die Tore geöffnet hat.
Schanghai ist heute stolz auf seine Rolle als Emigrationszentrum. »Wir wollen das kulturelle Erbe schützen«, sagt Chen Jian vom Außenbüro der Bezirksregierung in Hongkou. Die Arbeiten werden nach dem chinesischen Neujahrsfest Ende Februar beginnen. Es werden mehrere hunderttausend Euro investiert. Die Restaurierung soll vier Monate dauern, die Ausstellungsfläche am Ende 500 Quadratmeter messen.
Laut Wächter Zhu erinnern sich viele alte Chinesen in der Umgebung noch an die Emigranten: »Die Juden lebten zusammen mit den einfachen Chinesen«, sagt er. Schnell gehörten ihre Geschäfte zum Stadtbild, und man nannte Hongkou »Klein-Wien« oder »Klein-Berlin«. 1941 wurden alle Emigranten von der japanischen Besatzungsmacht in den Stadtteil zwangsumgesiedelt. Der Ort wurde als »Schanghaier Ghetto« berüchtigt.
Sonja Mühlberger ist nur einmal in der Synagoge gewesen, ihre Familie war nicht religiös. »Ich finde es fantastisch, dass dieses Haus, das so viel Geschichte zeigt, auch für die Geschichte genutzt wird«, sagt sie. Die Bezirksregierung will das Gebäude, wie die Zeitung »Shanghai Daily« berichtet, nach Plänen von 1928 renovieren. Damals gab es bereits Gemeinden irakischer und russischer Juden in Schanghai.
Vor allem der jüngeren Generation und den Nachkommen sei die Erinnerung heute wichtig, sagt die ehemalige Emigrantin Mühlberger. Der Elterngeneration sei das Rückblicken schwer gefallen. Sie beschrieben ihre Zeit in Schanghai als »Leben im Wartesaal«. Es war ein Zwischenstopp. Bis 1949 hatten die meisten von ihnen den »rettenden Hafen« in Asien wieder verlassen.