Die öffentlich-rechtlichen Fern-
sehanstalten beschäftigen sich eine ganze Woche mit dem Thema. Politiker loben den freiwilligen Einsatz für die gute Sache. Das Ehrenamt ist in aller Munde. Der eigene Verein, die eigene Gemeinde – dafür opfert man gerne seine Freizeit, sollte man meinen. Oder doch nicht? In der Jüdischen Gemeinde von Hamburg jedenfalls sucht man regelmäßig per Zeitungsanzeige Mitglieder, die »ehrenamtlich helfen wollen«.
einstellungssache »Die Bereitschaft, sich nebenbei noch für die Gemeinde zu engagieren, ist leider nicht mehr so groß wie in den Anfangsjahren unserer Gemeinden. Heute ist es für manche nicht mehr so selbstverständlich, ehrenamtliche Arbeit zu leisten«, sagt Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Vor allem junge Leute hätten immer weniger Zeit, sich einzubringen. »Aber ohne Ehrenamt würde unser Zu-
sammenleben nicht funktionieren«, sagt Neuwald-Tasbach. Zwar könne man in Gelsenkirchen noch auf den Einsatz der Mitglieder zählen. Die Totenwaschungen, Kranken- und Altenbesuche und Grabpflege funktionierten noch. »Aber wir müssen daran arbeiten, dass das auch so bleibt. Wenn wir an der Einstellung vieler Menschen nichts ändern, werden wir irgendwann eine Gesellschaft von Egoisten sein.«
Dass es auch anders laufen kann, zeigt das Beispiel der Gemeinde in Frankfurt am Main: Schon im Jahr 2005 wandte man sich unter dem Motto »Schenken Sie uns ein wenig von Ihrer Zeit« an die 5.000 erwachsenen Gemeindemitglieder, um auf einer Infoveranstaltung mit Kaffee und Kuchen auf den Bedarf an ehrenamtlichen Helfern für Kurse, soziales Engagement und den täglichen Ablauf in einer Gemeinde aufmerksam zu machen. Es kamen 170 Interessierte, 100 füllten einen Fragebogen aus und 25 Mitglieder wurden am Ende zu Ehrenamtlichen. »Unter ihnen sind sowohl unsere neuen Mitglieder aus der ehemaligen UdSSR, alte und junge Aktivisten, Frauen und Männer, mehr Frauen, aber auch einige sehr qualifizierte Männer«, berichtet Dalia Wissgott-Moneta, Leiterin der Sozialabteilung der Gemeinde. Bis heute besteht die Gruppe der freiwilligen Helfer und wird ständig erweitert und fortgebildet. Etwa 50 engagierte Gemeindemit-
glieder leisten ihren Dienst für die gute Sache. Das Angebot reicht von Hilfen für behinderte, alte oder kranke Mitglieder in der Gemeinde über organisierte Museumsbesuche bis hin zu Tanznachmittagen oder PC-Kursen. Allerdings, so gibt Wissgott-Moneta zu, sei das »Projekt Jüdisches Ehrenamt« auch durch die Sozialabteilung der Gemeinde akribisch vorbereitet worden. »Das ganze kostet Geld: Für die professionelle Begleitung, für die Unkostenerstattung der Ehrenamtlichen, die Fortbildun-
gen und die Feiern«, sagt Dalia Wissgott-Moneta. Dafür gebe es aber öffentliche Töpfe, Spenden und Fördermittel. Der Aufwand hat sich gelohnt. Heute sind alle Ehrenämter besetzt.
angebote Das ist nicht überall so – da-
bei sollte es doch normal sein. Im Judentum gibt es den Begriff Zedaka: »Man sollte nicht immer fragen, was man vom Staat bekommen kann, sondern im Gegenzug bereit sein, sich für die Allgemeinheit zu engagieren und ehrenamtlich Verantwortung zu tragen. Zedaka ist Wohltat. Und Wohltat ist, auch für den anderen etwas zu tun«, sagt Benjamin Bloch, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt). Die ZWSt bietet in Frankfurt am Main sogar Kurse an, in de-
nen ehrenamtliche Tätigkeiten vermittelt werden. Vor allem die kleinen Gemeinden seien auf Freiwilligkeit und bürgerschaftliches Engagement angewiesen, da ihre Infrastruktur ohne das vielfältige und un-
entgeltliche Engagement vieler Gemeindemitglieder keine Basis hätte, heißt es bei der Zentralwohlfahrtsstelle.
kompetenz Seminare für Freiwillige – ist das nicht übertrieben? David Tichbi, Vorstandsmitglied in der Hamburger Ge-
meinde, fordert »kompetente Leute, die Verantwortung übernehmen. Dazu sind leider manche nicht bereit, und viele ha-
ben auch einfach nicht die Zeit dazu.« Er selbst habe Phasen erlebt, in denen er bis zu 40 Stunden neben seinem Beruf für die Gemeinde gearbeitet habe. »Das macht man nur, wenn man sich stark mit der Ge-
meinde identifiziert. Daran müssen wir arbeiten«, sagt Tichbi.
Die Frage nach dem Ehrenamt ist nicht nur eine Frage der Generation, sondern auch eine des kulturellen Hintergrunds. So ist der Begriff Ehrenamt für viele zugewanderte Juden aus den Ländern der GUS ein völlig neuer Begriff: »Es war dort nicht üb-
lich, ohne Bezahlung Arbeiten zu übernehmen. Hinzu kommen natürlich noch die sprachlichen Barrieren in einer Gemeinde«, sagt David Tichbi. Nur ein Bruchteil der rund 80 Prozent russischsprachiger Zuwanderer sei in den Gremien vertreten.
Eine Arbeit, für die nichts bezahlt wurde, war im Kommunismus nichts wert. »Sich ehrenamtlich, freiwillig einzubringen, das ist etwas, was viele russische Gemeindemitglieder einfach so nicht kennen«, weiß Renate Wagner-Redding von der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig. »Vielleicht trauen sich manche auch noch nicht, Verantwortung zu übernehmen«, meint sie. Allerdings könne sie sich in Braunschweig nicht beschweren: »Wir finden immer Leute, die helfen.«
Sprachliche Barrieren abbauen, die Be-
reitschaft zum freiwilligen Engagement wecken, nur so können auch künftig die ehrenamtlichen Posten besetzt werden. »Und dann«, sagt David Tichbi, »spiegelt sich vielleicht auch irgendwann die Struktur der Mitglieder in den Gremien wider.«