Heinz Kallmann

Die Fehler verstehen

von Sophie Neuberg

Eigentlich wollte Heinz Kallmann aufhören, durch Schulen zu ziehen, um als Zeitzeuge die Geschichte jüdischer Kinder in der Nazizeit zu erzählen – der Achtzigjährige ist nicht mehr bei bester Gesundheit. Doch er wird vom Gefühl der Notwendigkeit getrieben: »Jeden Tag passiert etwas, jemand wird zusammengeschlagen, ein Denkmal wird geschändet«. Wenn er in Schulen geht und seine Geschichte erzählt oder für Schüler eine Führung durch die Ausstellung »Der gelbe Stern« veranstaltet, erfährt er viel Interesse und positive Resonanz. Also macht er weiter, damit die jungen Leute mit den Fakten aus dem Geschichtsunterricht echte Geschichten und Gesichter verbinden können. »Bücher und Filme können nicht das wiedergeben, was Überlebende sagen können«, betont Kallmann. Und den Überlebenden rennt die Zeit davon.
Die Ausstellung »Der gelbe Stern« dokumentiert in großformatigen Fotos und Zitaten das Leben der Juden in Deutschland von 1900 bis 1945, das Erstarken des Antisemitismus, die immer schlimmer werdende Diskriminierung und Verfolgung, die Deportation. »Der gelbe Stern« wurde von der Friedensbibliothek und dem Antikriegsmuseum der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zusammengestellt. Es war Zufall, dass Heinz Kallmann auf dem Foto eines Kindertransports erst das Gesicht eines Kindheitsfreunds erkannte und dann sich selbst entdeckte. Seitdem hat er die Ausstellung schon 80-mal begleitet und dabei aus seinem Leben erzählt. Der 1926 in Breslau geborene und in Königsberg und Berlin aufgewachsene Kallmann kam 1939 mit dem letzten britischen Kindertransport nach England.
Seit 1976 lebt Heinz Kallmann mit seiner Frau wieder in Deutschland, stellt sich als Zeitzeuge dem Schulunterricht zur Verfügung und führt durch die Ausstellung. Momentan tourt die Schau durch die Berliner Bezirke, in denen die NPD seit der letzten Wahl in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten ist. Anfang Januar war sie im Rathaus Neukölln zu sehen, am vergangenen Freitag wurde sie von Heinz Kallmann im Rathaus Lichtenberg eröffnet. Anschließend wird sie in Treptow-Köpenick gezeigt. Diese Tour durch die Bezirke ist Heinz Kallmann sehr wichtig, damit die Rathausbesucher verstehen, »welche Fehler gemacht wurden und damit die NPD an Popularität verliert«. Seiner Meinung nach sind Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit stark miteinander verbunden. In seinen Vorträgen in Schulen versucht er, nicht nur den Holocaust begreiflich zu machen, sondern auch eine Verbindung mit der heutigen Zeit herzustellen.
Warum rechtsradikale Tendenzen heute so viele junge Leute ansprechen, dafür macht er zum Teil die Schulen verantwortlich: »Das Thema wird nicht richtig bearbeitet«, sagt er, »die Schulen nehmen sich nicht genug Zeit dafür«. Das erlebt er immer wieder, wenn er eingeladen wird, einen Vortrag zu halten. Eine Stunde will man ihm zur Verfügung stellen, er verlangt aber drei. Denn erst zeige er einen Film, dann müsse noch genug Zeit zum Erzählen und für Nachfragen bleiben. Die Lehrer sind für die Unterstützung oft dankbar: Heinz Kallmann hat das Gefühl, dass sie vom Thema Drittes Reich und Judenverfolgung überfordert sind. Und er verlangt von ihnen nicht viel: Nur drei Stunden Zeit, verbunden mit der Bitte, die Schülerinnen und Schüler nicht danach noch schnell in den Mathematikunterricht zu scheuchen.
Von anderen interessierten Personen wünscht sich Kallmann ein bisschen finanzielle Unterstützung für die Ausstellung, damit sie weiter in Rathäusern und Schulen gezeigt werden kann. Das ist nicht sehr teuer, nur 250 bis 300 Euro, doch es braucht noch mehr Sponsoren. Denn: »Nur wenn die Welt daran erinnert wird, was sie dem jüdischen Volk angetan hat, kann diese Welt davor bewahrt werden, die Katastrophe selbst auf sich herabzuziehen«, so ein Satz von Elie Wiesel, der in der Ausstellung »Der gelbe Stern« nachzulesen ist. Oder um es mit Heinz Kallmann auszudrücken: »Die Jugendlichen müssen lernen, welche verheerende Folgen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus haben können«.

Der gelbe Stern, Rathaus Lichtenberg, Möllendorffstraße 6, bis 23. Februar, montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr.

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