von Christine Schmitt
Die Gemeindeverwaltung zieht um. Im Juli sollen die Mitarbeiter ihre Büros in Charlottenburg räumen. Stühle, Schreibtische, Computer und Aktenordner kommen nach Mitte, die Verwaltung wird in der Oranienburger Straße zentralisiert. Auch Gemeindechef Gideon Joffe wird mit dem Vorstandsbüro aus dem Gemeindehaus Fasanenstraße in die Oranienburger Straße umziehen.
Das wird das erste konkrete Ergebnis der Arbeit der beiden neuen Berater der Gemeinde, Manfred Schnapp und André Lossin, sein. Den Umzug haben die beiden dem Vorstand dringend empfohlen. »Zurück zu den Wurzeln«, bringt es Schnapp auf den Punkt. Denn der Schreibtisch des ehemaligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski stand hier bis 1953 und dann, nach der Vereinigung Berlins, erneut bis zu seinem Tode im Juli 1992. »Es kann nicht sein, daß die Verwaltungsmitarbeiter über mehrere Gebäude verteilt sitzen. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen kann erheblich verbessert und die Abläufe optimiert werden.« Derzeit seien die Büros der Angestellten an der Joachimstaler, Fasanen- und Oranienburger Straße untergebracht. In der nächsten Woche werden im neuen Domizil bereits Telefon- und EDV-Leitungen fertiginstalliert sein. Kurzfristig koste das, langfristig solle damit Geld gespart werden.
»Der Vorstand will, muß und wird etwas verändern, denn andernfalls ist die Gemeinde in zwei bis drei Jahren finanziell am Ende«, sagt Lossin. Schon seit einigen Jahren schließe die Gemeinde jährlich ihren Haushaltsplan mit etwa 1,4 Millionen Euro Verlust ab. Das Vermögen der Gemeinde sei bereits erheblich geschrumpft. »Wenn es nicht ein paar Erbschaften gegeben hätte, sähe die Lage noch schlechter aus«, meint Lossin.
Manfred Schnapp und André Lossin sind seit März im Einsatz. Der Verwaltungsexperte Manfred Schnapp ist für diese Arbeit vom Jüdischen Museum freigestellt worden. André Lossin, hauptbe-
ruflich bei der Senatsverwaltung für Finanzen beschäftigt, leistet die Arbeit ehrenamtlich. »Ich habe viele Freunde in der Jüdischen Gemeinde«, erklärt der 43jährige sein Engagement. Außerdem habe er schon seit vielen Jahren Kontakt zum Jüdischen Kulturverein.
»Mein Großvater ist 1902 bei der Gemeinde eingestellt worden, mein Vater 1921«, sagt Schnapp. Insgesamt waren dort beide mehr als 50 Jahre lang Mitarbeiter. Das sei für den 56jährigen die Grundlage gewesen, »der Gemeinde ein bißchen unter die Arme greifen zu wollen, so daß das Erscheinungsbild und die Verwaltung ein bißchen geordnet werden«. Denn in den vergangenen Monaten habe er sich ziemlich über die Zerstrittenheit und das negative Erscheinungsbild geärgert. Gideon Joffe hatte ihn und kurz darauf auch André Lossin angesprochen, ob sie ihn bei der Modernisierung und Sanierung der Gemeinde unterstützen könnten. Nun sitzt Manfred Schnapp in einem winzigen Büro an der Joachimstaler Straße und hat mit André Lossin begonnen, die Sachen von »unten nach oben« durchzuarbeiten, um zu sehen wo es Schwachpunkte gibt.
»Es bestehen viele Schwachstellen und die Gemeinde befindet sich derzeit in einer schwierigen Lage, so daß schnellstens ein Teil der Verwaltungsstruktur neu ausgerichtet werden muß«, meinen Schnapp und Lossin unisono.
»Fast alle Abteilungsleiter habe ich angesprochen und mir deren Tätigkeiten erläutern lassen, auch wie alles strukturiert ist«, sagt Schnapp. So konnte er sich ein Bild machen und hat festgestellt, daß »seit etlichen Jahren vieles schiefläuft, wenn man sich als Verwaltungsfachmann die Abläufe ansieht.« Und das betreffe fast alle Abteilungen. »Wir müssen neue Maßstäbe setzen«, so Schnapp und Lossin. Manche Bereiche sollten aus Kostengründen ausge-
gliedert werden. Freiwerdendes Personal solle geschult und in anderen Abteilungen untergebracht werden. Sämtliche Immobilien der Gemeinde müßten katalogisiert werden, ebenso solle aufgelistet werden, wo Sanierungsbedarf besteht. Auch ein zentrales Bestellwesen solle eingeführt werden, um Kosten zu sparen. Die Zuständigkeiten von Geschäftsführer und Dezernenten gingen teilweise ineinander über. Und das Gebäude- und Baumanagement muß dringend neugeordnet und an moderne Managementstrukturen angepaßt werden. »Wir empfehlen eine Zusammenführung dieser Bereiche.«
»Zudem hat die Gemeinde ein Einnahmeproblem, obwohl die Mitgliederzahl derzeit bei 11. 000 stagniert«, sagt Lossin. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger sei größer geworden. »Das wird zunehmend zu einem Problem und damit muß die Gemeinde kämpfen.«
Nach Ansicht der Berater sind außerdem die politischen Gremien der Gemeinde in ihrer Struktur veraltet. Sie seien vor mehr als 50 Jahren geschaffen worden und entsprächen nicht mehr dem modernen Management einer Gemeinde, so der 56jährige, der auch die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus Wannseekonferenz mit aufgebaut hat. Seiner Meinung nach wirken zu viele Menschen in den Ausschüssen und der Repräsentantenversammlung mit.
Die Gemeinde müsse auch insgesamt wieder attraktiver werden. »Das Mitglied ist immerhin Kunde und muß entsprechend behandelt werden«, sagt Schnapp. Derzeit werde Freundlichkeit in der Verwaltung allerdings nicht gerade großgeschrieben, so der Eindruck von Manfred Schnapp. »Kundenorientiertheit« sei deshalb ein wesentliches Ziel der Reform, nur so könne sich die Attraktivität der Gemeinde erhöhen. Dieses Ziel könne schnell erreicht werden. Da sind sich die beiden Berater sicher.