von Gabriele Lesser
Angela Merkel agiere wie Hitler, verkündete Maciej Giertych (71) vor Kurzem im Europäischen Parlament. Die deutsche Regierungschefin reihe sich in eine Folge deutscher Herrscher ein, die Europa domnieren wollten – davon ist der Politiker der EU-feindlichen Regierungspartei Liga der polnischen Familien (LPR) überzeugt. »Hitler wollte auch eine Supermacht schaffen. Angela Merkel handelt ähnlich, aber sie ist viel raffinierter«, sagte er der Tageszeitung Zycie Warszawy. Anders als Hitler setze sie nicht auf militärische Gewalt, verfolge aber wie er das Ziel, eine deutsche Dominanz über Europa zu schaffen. »Sie macht scheinbar Zugeständnisse, kümmert sich in Wirklichkeit aber darum, dass Deutschland die stärkste Position hat«, fügte der Vater des polnischen Bildungsministers Roman Giertych (36) hinzu. Dieser hatte bereits im Juni Merkels Verhandlungstaktik auf dem EU-Gipfel in Brüssel mit Nazimethoden verglichen. Die »Hände-Hoch«-Politik Merkels gegenüber dem polnischen Präsidenten sei den Polen noch von den Nazi-Schergen im Zweiten Weltkrieg gut in Erinnerung.
In Polen reagierte kaum jemand auf den Hitler-Merkel-Vergleich. Weder die Zwillingsbrüder Jaroslaw und Lech Kaczynski, die sich als Premier und Präsident Polens die Bälle zuspielen, hielten dies für notwendig, noch die Außenministerin oder der Parlamentspräsident. Nur der frühere Außenminister und heutige EU-Abgeordnete Dariusz Rosati übte Kritik: »Maciej Giertych muss in ärztliche Behandlung.« Der nationalistische Politiker war schon öfters durch antisemitische, schwulenfeindliche und antideutsche Äußerungen aufgefallen. Konsequenzen für ihn hatte das bislang keine.
Dass die deutsche Kritik am Hitler-Merkel-Vergleich »ausgerechnet« von Charlotte Knobloch, der Präsidentin des Zentralrats der Juden, kam, rief in Polen einigen Ärger hervor. »Es ist ungeheuerlich und revisionistisch, unserer Kanzlerin zu unterstellen, sie strebe genau wie Hitler die Vorherrschaft in Europa an«, sagte Knobloch. Es könne nicht angehen, dass die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands ständig aus ihrem historischen Kontext gerissen und für andere Zwecke vereinnahmt werde. Damit werde der Banalisierung und beliebigen Instrumentalisierung von Geschichte für politische Zwecke Vorschub geleistet. Besonders bitter stieß vielen Polen auf, dass Knobloch auch noch ermahnte, Polen sollte sich, statt mit dem Finger auf das Nachbarland zu zeigen, endlich mit der eigenen nationalen Vergangenheit auseinandersetzen. Die »Kollaboration mit den Nazis« und die »Judenverfolgung nach 1945« sind bis heute Tabuthemen. Der Mythos von den Polen als ewigen Opfern und Märtyrern der Geschichte wird von der derzeitigen Regierung wieder sehr gepflegt. So hat kaum eine polnische Zeitung die Kritik Knoblochs an Giertych auch nur vermerkt. Lediglich die katholisch-antisemitische Tageszeitung Nasz Dziennik warnte wieder einmal vor den Juden: »Deutschland: Der Zentralrat der Juden attackiert Polen.«
Ein solcher Satz könnte auch von den Giertychs stammen. Seit drei Generationen hetzen sie gegen Juden und Freimaurer, warnen vor dem »deutschen Hegemonialstreben« in Europa und verteidigen den »rein katholischen Nationalcharakter der Polen«. Die Grundlage der nationalistischen Familientradition legte Jedrzej Giertych in der Zwischenkriegszeit. Er berief sich dabei vor allem auf den nationaldemokratischen Politiker Roman Dmowski (1864-1939) und den katholischen Historiker Feliks Koneczny (1862-1949).
Dmowski war pro-russisch ausgerichtet, saß zweimal als Abgeordneter in der russischen Duma und gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zu den Mitunterzeichnern des Versailler Vertrags. Obwohl er 1923 nur zwei Monate lang Außenminister Polens war, bestimmte er als Gründer der Nationaldemokratischen Partei (Endecja) den politischen Diskurs in Polen. Dmowski war Antisemit. 1911 rief er zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. 1927 schrieb er in seinem Schlüsselwerk Kirche, Volk und Staat, dass »das polnische Wesen katholisch« sei und jeder Versuch, den Katholizismus vom Polentum zu trennen, die »Vernichtung des Wesens der Nation« bedeute. 1938 verfasste Jedrzej Giertych einen Roman mit dem Titel Der Anschlag. Darin planen zwei Juden einen Umsturz und reißen Polen tatsächlich fast ins Verderben: Kirchen brennen, Priester werden gesteinigt, ein Gene- ralstreik bricht aus. Die jüdischen Revolutionäre bilden eine provisorische Regierung und nennen das Land nun »Judaeo-Polonia«. In letzter Sekunde gelingt es, die Revolutionäre aus dem Land zu treiben. »Plötzlich erblickten wir das wahre Polen«, schreibt Giertych. »Dies wurde möglich durch die Befreiung Polens von den Juden. Polen wurde auf einmal das, was es wirklich ist: ein gesundes Land, ein Land voller Lebenskräfte, ein Land, das an seine Zukunft glaubt – und ein glückliches Land.«
Auch der Historiker Feliks Koneczny war Antisemit. Zugleich hasste er die Deutschen und ihre Kultur. In seinen Zivilisationsstudien wies der Professor immer wieder auf den angeblich »schädlichen Einfluss der deutschen und jüdischen Kultur in Polen« hin: »Es droht uns eine Vermischung der Zivilisationen«, schrieb er zum Beispiel in seiner Verteidigung der lateinischen Zivilisation. Gefährlicher als die Deutschen seien aber die Juden: »Wie viele rein jüdische Begriffe grassieren bereits unter uns. Unsere Literatur, unsere Rechtsvorstellungen, unsere politischen Ansichten – all dies unterliegt einer Judaisierung.«
Maciej und Roman Giertych traten in die politischen Fußstapfen Jedrzej Giertychs. Während Roman Giertych als Bildungsminister und stellvertretender Premier seit zwei Jahren großen Einfluss auf das tägliche Leben in Polen hat, versucht sein Vater, als EU-Parlamentarier die Europäische Union von innen zu bekämpfen. Maciej Giertych ist überzeugt, dass die EU nichts anderes als die Fortführung von Bismarcks und Hitlers Plänen sei, Europa in ein neues »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation« zu verwandeln. In seiner programmatischen Schrift Mit Hoffnung in die Zukunft schreibt er, dass die Deutschen in ihrer Geschichte immer nur das Ziel verfolgt hätten, die Polen entweder auszurotten oder zu germanisieren.
Zum kruden Weltbild der Familie Giertych gehört die »gesunde Familie«. Als Bastion katholischer und nationaler Werte werde sie unablässig von außen angegriffen. Deren Feinde sind nach Ansicht der Giertychs zahlreich und gefährlich: Freimaurer, Deutsche, Homosexuelle – und Juden. Enkel Roman Giertych ist allerdings seit der Übernahme des Bildungsministeriums darum bemüht, jeden Anschein von Antisemitismus zu vermeiden. Er trennte sich von der Organisation »Allpolnische Jugend«, die mit Nazifeiern und »Sieg-Heil«-Rufen für Skandale gesorgt hatte. Er distanzierte sich sogar öffentlich von den Ansichten seines Großvaters. Israels Außenministerium weigert sich dennoch bis heute, mit Roman Giertych zusammenzuarbeiten.
Maciej Giertych macht es sich da leichter. Er sieht keinen Grund, sich von den Ansichten seines Vaters zu distanzieren und veröffentlichte vor einigen Monaten eine Broschüre mit dem Titel Kampf der Zivilisationen in Europa. Im Kapitel »Jüdische Zivilisation« nennt er gläubige Juden eine »tragische Gemeinschaft«, die Jesus Christus nicht als ihren lang erwarteten Messias anerkennen wollten und daher als Wanderer zwischen den Welten eifersüchtig darüber wachten, als »auserwählte Nation« angesehen zu werden. Juden, schreibt Maciej Giertych, würden sich selbst absondern und so »ihre eigenen Ghettos« bilden. Adolf Hitler habe den Juden lediglich nicht mehr erlaubt, ihre Ghettos zu verlassen.
Die Broschüre mit EU-Logo löste einen Skandal aus. Das Präsidium des EU-Parlaments konnte sich aber nur zu einer »ernsten Ermahnung« durchringen. Giertych hielt das nicht davon ab, die Broschüre in weitere Sprachen zu übersetzen und den Text auf seiner Internetseite zu platzieren. Die Rubrik heißt »Europäische Werte«.