von Wladimir Struminski
Die Redaktion des Radiomagazins Hakol Diburim – zu Deutsch: »nur Gerede« – hatte eine originelle Idee. Im Laufe der Sendung verlas Moderator Jaron Dekel mehrmals mit Grabesstimme eine Namensliste und fügte hinter jedem Namen eine Zahl hinzu, von »Schlomo Sohar, 17,9 Millionen« bis »Zwi Siw, 7,9 Millionen«. Die Zuhörer verstanden die Zahlen auch ohne erläuternde Kommentierung: Es handelte sich um die Jahresgehälter von Topmanagern israelischer Banken, ausgezahlt im Vorjahr in Schekel. Das Thema beherrschte tagelang die Schlagzeilen. Immerhin hatte Sohar als Direktoriumsvorsitzender der Discount Bank umgerechnet 3,2 Millionen Euro beziehungsweise das 202-Fache des Jahresgehalts kassiert, für das sich der Durchschnittsisraeli an seinem Arbeitsplatz abrackert. Und selbst um das nach Maßstäben der Topbanker relativ bescheidene Arbeitsentgelt eines Zwi Siw, seines Zeichens Generaldirektor der Bank Hapoalim, einzustreichen, müsste sich der Normalbürger 90 Jahre anstrengen. So lösten die Veröffentlichung der Gehaltszahlungen einen Sturm der Entrüstung aus, wie es ihn selbst im temperamentvollen Israel selten gibt.
Allerdings geraten nicht nur Bankmanager – auch wenn die Banken ein besonders beliebtes Hassobjekt sind –, sondern auch andere Großverdiener zunehmend ins Visier der verärgerten Öffentlichkeit. So war der bestverdienende Konzernlenker des vergangenen Jahres kein Banker, sondern der Generaldirektor des Energiekonzerns Delek, Ejal Lapidot. Er kassierte 36 Millionen Schekel, rund 6,5 Millionen Euro, an Gehalt und Zusatzvergünstigungen. Ihm folgten Nochi Dankner, Direktoriumsvorsitzender der Holdinggesellschaft IDB mit 18,4 Millionen Schekel und Dani Porat, Strategieleiter des Düngemittelherstellers Machteschim. Insgesamt verdienen mehr als 20 leitende Angestellte mehr als zehn Millionen Schekel pro Jahr. Zu ihnen gehört unter anderem der Generaldirektor der Fluggesellschaft EL AL, Chaim Romano, der es 2007 ungeachtet der angespannten Lage der Airline auf 10,2 Millionen Schekel brachte.
Selbst Spitzenmanager, die wegen nach-
gewiesener Unfähigkeit den Chefsessel räumen müssen, gehen nicht leer aus. David Kaminitz, Generaldirektor des Kabel-TV-Anbieters HOT, wurde wegen seiner Unfähigkeit kritisiert, einen zuverlässigen Kundendienst aufzubauen. Als er aber im vergangenen Monat seinen Rücktritt bekannt geben musste, schanzte ihm die Firma eine Abfindung im Wert von 20 Millionen Schekel zu.
Darum werden auch viele deutsche Manager ihre Kollegen vom Ostrand des Mittelmeeres beneiden. Für andere Länder gilt das erst recht. Wie Sasson Bar-Yosef, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hebräischen Universität in Jerusalem ermittelt hat, verdienen israelische Spitzenmanager im Durchschnitt doppelt so viel wie leitende Angestellten britischer Firmen mit vergleichbarer Größenordnung und Branchenzugehörigkeit. Dabei hat sich der Wandel von einer egalitären Gesellschaft zur Hochburg des »schweinischen Kapitalismus«, wie Schimon Peres – damals noch nicht Staatspräsident – vor zwei Jahren kritisierte, rasend schnell vollzogen. Noch in den 70er-Jahren hatten die meisten Israelis wenig Geld, wohnten in den gleichen Dreizimmerwohnungen mit hässlichen Fliesen, der Pkw-Besitz war eine Seltenheit und der Auslandsurlaub so gut wie unbekannt. Mit seinem sozialen Gefälle belegt Israel in der industrialisierten Welt inzwischen einen Spitzenplatz –nicht zuletzt symbolisiert durch seine Spitzenverdiener.
Den rasanten Anstieg der Topgehälter, sagt Forscher Bar-Yosef, haben unkontrollierte Macht- und Entscheigungsstrukturen in den Unternehmen ausgelöst. Nach geltendem Recht wird das Arbeitsentgelt von Spitzenmanagern börsennotierter Gesellschaften durch besondere, mit Direktoriumsmitgliedern besetzte »Vergütungsausschüsse« festgelegt. Deren Aufgabe ist es, zumindest offiziell, die Gehaltsansprüche der Führungselite mit dem Firmeninteresse in Einklang zu bringen.
In der Praxis aber übt das Spitzenmanagement entscheidenden Einfluss auf die Ernennung der Direktoriumsmitglieder aus – also just jener Instanz, die sie kontrollieren sollte. Die Folge: Ein Direktor, der sich bei der Gehaltsbestimmung im Interesse der Aktionäre querlegt, verliert sehr schnell seinen Rückhalt und seine Anstellung. »Dafür«, sagt Bar-Yosef, »gibt es ein hebräisches Wort: Schalmonim.« Die deutsche Übersetzung lautet: Bestechungsgeld. In anderen Fällen lassen Großaktionäre – wie IDB-Miteigner Dankner – sich selbst ein astronomisches Gehalt ausbezahlen. Damit mutiert das Einkommen zu alternativer Gewinnausschüt-
tung, die an den kleineren Aktionären vorbeigeht.
Hier wollen Kritiker der Vergütungsregelung für Spitzenverdiener ansetzen: Zeige sich, dass die Managergehälter nicht im Interesse der Firma als Ganzes liegen, sollten einzelne Aktionäre gegen die fürstliche Entlohnung in den Chefetagen klagen können, fordert der Anwalt und Experte für Handelsrecht, Awi Silberfeld. Eine von der Forschungsabteilung der Knesset angefertigte Studie wiederum stellte fest, der Gesetzgeber könnte Managergehälter nur bis zu einer Obergrenze als Betriebskosten anerkennen und damit die Unabhängigkeit der Direktoren besser sichern. Eine wirkliche Reform erfordert parlamentarische Aktivitäten. Dazu aber müssten sich die Politiker allerdings mit den Großverdienern anlegen.