»Die 25 Prozent sind die Ehrlichen«
Harald Welzer über eine Umfrage zu den »guten Seiten« der Nazi-Zeit
Herr Welzer, laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des »Stern« sagen 25 Prozent der Deutschen, der Nationalsozialismus habe auch gute Seiten gehabt. Wie beurteilen Sie das methodische Vorgehen?
welzer: Mit der Fragestellung kann man nicht viel anfangen. Es wurde gefragt: »Hatte der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten (Bau der Autobahnen, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, niedrige Kriminalität, Förderung der Familie)?« Wenn solche Beispiele vorgegeben sind, ist das suggestiv. Damit wird ungeprüft unterstellt, dass es im Dritten Reich wirklich eine niedrigere Kriminalitätsrate gab. Nach den Regeln der Kunst müsste man formulieren: »Manche sagen, der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten ...« Und die verschiedenen Punkte – Autobahnen etc. – sollten einzeln angeführt werden, sodass man ankreuzen kann: »stimme zu«, »stimme etwas zu«, »stimme nicht zu«. Bei der Forsa-Umfrage wissen wir gar nicht, worauf die Leute eigentlich antworten.
Wie erklären Sie sich dann, dass immerhin 70 Prozent der Befragten keine »gu-
ten Seiten« an der NS-Zeit sehen?
welzer: Mit Political Correctness. Man wittert doch sofort die Absicht und denkt: »Oh, das ist vermintes Gelände, da sage ich mal lieber nein.« Die Leute antworten das, wovon sie glauben, dass es die sozial erwünschte Antwort ist, nicht das, was sie denken.
Die 70 Prozent sind also kein Grund zur Beruhigung?
welzer: Überhaupt nicht. Bei den 25 Prozent handelt es sich nur um die, die ehrlich sind. Man müsste vielmehr indirekt fragen. In unserer eigenen Studie »Opa war kein Nazi« lautete eine der Fragen sinngemäß: »Was für Erfahrungen haben Ihre Angehörigen/Eltern/Großeltern im Dritten Reich gemacht?« Eine mögliche Antwort war: »Gemeinschaftsgefühl erlebt«. 63 Prozent sagten, ihre Angehörigen hätten Gemeinschaftsgefühle erlebt. Das kann man dann so interpretieren, dass die Befragten das positiv finden. Wenn man indirekt fragt, sagen die Leute eher, was sie denken.
Ist die Forsa-Datenbasis von 1.000 Befragten überhaupt repräsentativ?
welzer: Ja, das kann man so machen, dagegen ist nichts zu sagen. Das ist das normale Vorgehen bei so einer aktuellen Umfrage.
Mit dem Sozialpsychologen sprach
Ingo Way.