Europa beginnt in Schweden. So jedenfalls muss es sich Yuli Edelstein, israelischer Minister für Diaspora-Angelegenheiten, vorge- stellt haben, als er im Sommer eine Videokonferenz mit Vertretern der Stockholmer jüdischen Gemeinde plante. Das virtuelle Treffen ist das erste seiner Art. In den nächsten Monaten sollen weitere folgen, in Sofia, Mailand, Budapest und anderen Gemeinden.
Von der Initiative, einer Kooperation zwischen Edelsteins Diaspora-Ministerium und dem Internetforum leadel.net des Europäischen Jüdischen Kongresses, erhofft sich der Minister mehr direkten Kontakt zu den Gemeinden. »Israels Einstellung zur Diaspora hat sich gewandelt. Bei ›Galut‹ denken wir nicht länger in erster Linie an ›Alija‹, sondern an gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit. Dieses Projekt ist Ausdruck dafür«, so Yuli Edelsteins Eröffnungsstatement am Beginn der Live-Konferenz vergangenen Mittwoch in der schwedischen Hauptstadt.
Dass sich in ganz Stockholm für die Live-Diskussion kein Ort besser eignete als Paideia, das Europäische Institut für Jüdische Studien in Schweden, war den Organisatoren auf beiden Seiten schnell klar. Paideia-Mitarbeiter Noa Hermele erklärt, warum: »Paideia repräsentiert das jüdische Europa. Da liegt es nahe, dass wir die Ersten sind, mit denen der Minister aus Israel spricht.«
Mittwochabend vergangener Woche teilten Paideias europäische Studenten sich ihren Vorlesungsraum in der Nybrogatan mit führenden Vertretern der Stockholmer jüdischen Gemeinde und des Zentralrats der Juden in Schweden. Dicht gedrängt, auf Klappstühlen oder stehend, erwarteten die rund 50 Repräsentanten des schwedischen Judentums mit Spannung die Liveschaltung nach Jerusalem zu Yuli Edelstein. »Das hier ist eine gut funktionieren- de Einheitsgemeinde mit vielen Zweigen«, sagt Paideia-Chefin Barbra Spectre. »Diese Vielfalt, typisch für die Diaspora, wollen wir dem Minister vor Augen führen.«
identität Der gab sich offen, interessiert und persönlich. Als Ricky David, Lehrerin für Hebräisch und Judentum am jüdischen Zweig der Stockholmer Vasa-Oberschule, wissen wollte, wie wichtig für Israel Hebräisch in der Diaspora sei, pflichtete Edelstein »seiner Kollegin« bei: Als ehemaliger Hebräischlehrer aus der früheren Sowjetunion stimme er mit Stockholms Juden darin überein, dass Hebräisch die jüdische Identität stärke. Besorgt fragten die Stockholmer Konferenzteilnehmer, ob im Zuge fortschreitender Säkularisierung Hebräisch in Zukunft wohl der einzige gemeinsame Nenner zwischen Israel und der Diaspora sei.
befremden Zwar pries Yuli Edelstein in diesem Zusammenhang »grundlegende jüdische Werte« und »Jüdischkeit« als weitere »Bausteine des jüdischen Volkes«, doch schien es mitunter, als redeten Israel und die Diaspora aneinander vorbei. Auf die wenig konkreten Antworten des Ministers reagierten viele Stockholmer Juden jedenfalls mit Befremden.
Ein Eindruck, der sich verstärkte, als Lena Posner-Körösi den Minister auf Israels Reaktion zur Aftonbladet-Affäre ansprach, die kürzlich einen Eklat in den diplomatischen Beziehungen beider Länder ausgelöst hatte. Ein Artikel in dem linken schwedischen Boulevardblatt Aftonbladet hatte Mitte August israelische Soldaten beschuldigt, sie würden die Organe getöteter Palästinenser entnehmen, um sie zu verkaufen. Ob das israelische Außenministerium denn nicht verstanden habe, beschwerte sich die Zentralratschefin, dass die geforderte Entschuldigung auf Regierungsebene gegen Schwedens Prinzip der Pressefreiheit verstoßen hätte?
Yuli Edelstein holte tief Luft, bevor er antwortete. Der Unmut war ihm deutlich anzumerken. Eigentlich sollte es an diesem Abend um andere Aspekte der Beziehung Israels zur Diaspora gehen. Er liege da ganz auf einer Wellenlänge mit dem israelischen Außenministerium, betonte er nachdrücklich. »Auch wenn wir Schwedens Regierung nicht als Antisemitin betrachten, dient in diesem Fall die Presse- und Meinungsfreiheit bei euch als Deckmantel für antisemitische Propaganda«, beklagte sich der Diaspora-Minister.
harmonie Bei aller Diskrepanz im Umgang mit dieser Frage schlug Edelstein jedoch gegen Ende der Konferenz noch einmal versöhnliche Töne an. »Eine Distanzierung der schwedischen Regierung von diesem Artikel hätte nicht nur Israel und Schwedens Juden gutgetan, sondern auch der Demokratie. Da hat Schweden schließlich einen guten Ruf.«
Ob die Stockholmer Juden mit dieser Antwort zufrieden waren, ist zu bezweifeln. Die Videokonferenz sei immerhin ein guter Anfang, lobten die Teilnehmer. Auch wenn zwischen Israel und Europa an diesem Spätsommerabend manchmal Welten aufeinander prallten.